Viele Jahre lang brauchten Fernseher, Radios oder DVD-Spieler sogar dann viel Strom, wenn sie nichts taten; der Stromverbrauch im Leerlauf überstieg bei manchen Geräten 40 Watt. Wer solche Geräte nicht wollte, musste sich selbst darum kümmern – es kam auf die Mühe und auf das moralische Handeln des Verbrauchers an, verschwenderische Geräte zu meiden. Doch das änderte sich schlagartig mit der sogenannten Ökodesignrichtlinie der Europäischen Union: Auf einmal sind nur noch 0,5 Watt erlaubt! Man kann also kaufen, was man will, und in Bezug auf den Leerlaufstrom fällt es auf jeden Fall leicht „zu tun, was wir für richtig halten“, so der Untertitel des Buches zur „Ökoroutine“ von Michael Kopatz. Er skizziert einen Umbau unserer Gesellschaft nach der Grundidee dieses Beispiels. Klare Regeln entlasten den Einzelnen bei seinen Entscheidungen, „sei es im Haushalt, beim Einkaufen oder im Verkehr“, so steht es mit Verweis auf die Ökoroutine in Kapitel 2 des Buches zur Willkommensstadt. Dort wird Michael Kopatz beispielhaft als Wissenschaftler vorgestellt, der erforscht, wie wir auf den Klimawandel reagieren können und was die Politik durch Vorgaben beitragen kann. Und was beim Leerlaufstrom so wunderbar funktioniert, wäre zum Beispiel auch dafür geeignet, unsere Produkte haltbarer zu machen.
Die Ökodesignrichtlinie regelt nämlich nicht nur den Verbrauch, sondern könnte zukünftig auch eine Mindesthaltbarkeit definieren, so dass „vermurkste“ Produkte verschwinden, die schnell kaputtgehen. Etwas komplexer wird es, wenn Michael Kopatz die Idee der Ökoroutine auf andere Bereiche überträgt, sei es Verkehr, Wohnen oder Ernährung. So entwirft er einen Agrarwendefahrplan, der beschreibt, wie schrittweise die Regeln für eine ökologischere und gesündere Ernährung geändert werden könnten: Da geht es um die Menge an Unkrautvernichtungsmitteln, um die Fruchtfolge, die Standards der Tierhaltung, die Angabe von Inhaltsstoffen und um Ökosaatgut. Bis 2030 könnten in all diesen Aspekten schrittweise Regeln verändert werden, um schließlich „Bio für alle“ zu erreichen – jeder bekäme dann ökologisch unbedenkliches Essen, und eine neue Routine fände Eingang in unser Leben.
Leider streut Michael Kopatz diese konkreten Forderungen über gut zwanzig Seiten des Kapitels zur Ernährung; für eine zukünftige Auflage wäre es schön, den „Agrarwendefahrplan“ auch als Übersicht lesen zu können. Diese Kritik gilt ebenso für weitere Kapitel des Buches, etwa beim Verkehr oder beim Wohnen, denn auch da spricht der Autor eine bewundernswerte Vielzahl von Stellschrauben an, an denen die Politik drehen könnte, wobei man als Leser manchmal den Überblick zu verlieren droht. Andererseits ist dies nur ein Ausdruck der enormen inhaltlichen Tiefe der über vierhundert Buchseiten, die beweisen, dass ein grundlegender Wandel bereits im Rahmen unseres heutigen Rechts- und Regelsystems möglich wäre, wenn wir es nur hier und dort schärfer stellten.
Mitunter geriete diese Verschärfung unserer Regeln, die Michael Kopatz vorschlägt, dann doch so radikal, dass sich das vermeintlich reformerische Buch als revolutionär erweist: Es sollte nur noch Mehrwegflaschen geben, während Einweg abgeschafft würde. Bio-Essen gäbe es wie erwähnt für alle. Die Zahl der Flüge würde nach oben begrenzt, und Straßen generell nicht mehr neu gebaut, sondern nur noch ausgebessert. Und nicht zuletzt würde die Wohnfläche für ganz Deutschland begrenzt; eine Forderung, die auch der Autor dieser Zeilen in Verbietet das Bauen! geschildert hat.
Trotz solch weitreichender Vorschläge bleibt Michael Kopatz nah an unseren vorhandenen Regeln und zeigt lediglich auf, wie sie sich zugunsten einer Ökoroutine verändern ließen. Der damit verbundene schrittweise Umbau unserer Gesellschaft beträfe auch einen Wandel der Wirtschaft, und den schildert das Buch im Kapitel zur „Wirtschaftsförderung 4.0“: Unter diesem Titel soll regionales und nachhaltiges Wirtschaften gefördert werden, wie schon auf diesem Blog berichtet wurde; und das Buch zur Willkommensstadt greift dieses Konzept im Kapitel zu Schwarmstädten auf, weil in diesen eben nicht mehr grenzenloses Wachstum gefördert werden sollte, sondern ein anderes Wirtschaften. So bietet das Buch zur Ökoroutine ein umfangreiches Programm, wie wir anders leben könnten, mit besserer Ernährung, nachhaltigeren Produkten, verträglicherem Verkehr, auf weniger Fläche und mit besserem Gewissen.
Auf diesem Blog gab es in der Reihe „Wahrheit beginnt zu zweit“ ein Gespräch mit Michael Kopatz.
Buch
Michael Kopatz, „Ökoroutine. Damit wir tun, was wir für richtig halten“, oekom Verlag
ISBN 978-3-86581-806-5
416 Seiten, Hardcover
24,95 €
Erhältlich über jede Buchhandlung, oder online nicht nur bei dem großen Web-Kaufhaus, das durch seine Konkurrenz die Buchläden bedrängt, sondern stattdessen auch beim klassischen Buchhändler wie zum Beispiel bei Bültmann & Gerriets Oldenburg, eine der größten unabhängigen inhabergeführten Buchhandlungen in Deutschland, wo man per Klick mit Rückgaberecht bestellen kann.
Andere Buchbesprechungen auf diesem Blog
(Ausstellungskatalog) Bauen und Wohnen in Gemeinschaft
Turit Fröbe: Die Kunst der Bausünde
Brigitte Schultz: Was heißt hier Stadt?
Kristien Ring (Hrsg.): Selfmade City
Niklas Maak: Wohnkomplex
Christopher Dell: Ware: Wohnen!
Wenn Ihnen die Besprechung gefallen hat, können Sie den Blog auf diesen Wegen unterstützen.
Bleiben Sie dran auf Facebook, mit RSS-Feed oder klassischem Newsletter (siehe rechte Seitenspalte).