Bauen und Wohnen in Gemeinschaft

Bild des besprochenen Katalogs

Nur wenige möchten gemeinsam Hühner halten, aber viele möchten mit anderen grillen – das kam heraus, als die zukünftigen Bewohner des R50 genannten Gebäudes in Berlin sich dazu äußerten, welche Räume sie miteinander teilen wollen. Neben diesen sehr speziellen Zwecken kreisten die Fragen um den Kern gemeinschaftlichen Lebens: Gästewohnungen oder Gemeinschaftsküche, Arbeitsräume oder Garten. Welche Räume die Bewohner des R50 nun letztlich teilen, zeigt eine Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum ebenso wie der zugehörige Katalog. Und die Fragen beim R50 weisen darauf hin, wie unterschiedlich man den Begriff des „Gemeinsamen“ verstehen kann. Sehr vielfältig sind denn auch die gut zwei Dutzend Beispiele, die Ausstellung und Katalog vereinen; bei manchen wundert es beinahe, wie sie es überhaupt in die Auswahl geschafft haben, und doch verdeutlicht der Gegensatz zwischen den enger und den weiter reichenden Gemeinschaften die Möglichkeiten des Wohnens.

So wirken manche der Gemeinschaftsprojekte wie fast zufällig benachbarte Häuser, die wenig gemein haben – in einem Fall lediglich eine Spielstraße dazwischen (Doppelhäuser in Dießen am Ammersee). Das ist kein Vorwurf an die Bauherren, denn besser eine Spielstraße als braves Abstandsgrün. Und doch: Wenn Kapitel 10 des Buches Verbietet das Bauen! den „Mut zur Nähe“ beschreibt, dann geht es nicht allein um geteilte Außenräume wie Spielplätze oder Gärten, sondern um gemeinsam genutzte Wohnräume, die fast schon Wohngemeinschaften bilden. Sie erst ermöglichen es, die privaten Räume etwas bescheidener auszuführen, und dadurch unterm Strich Fläche zu gewinnen. Extreme in diese Richtung zeigt der Katalog mit den Züricher Projekten Kalkbreite und Kraftwerk 2 sowie dem Berliner Spreefeld.

Bei aller Vielfalt bezüglich des Gemeinschaftlichen wirken die über zwanzig Projekte auf eine befremdliche Weise einheitlich. Schwer zu sagen, woher dieser Eindruck kommt; vielleicht liegt es daran, dass man sich in den meisten dieser Bauten Akademiker vorstellen kann, die über ausreichend Geld und Engagement verfügen. Letzteres ist auch deswegen nötig, weil es meist nicht allein Wohn- oder Wohnungen-Gemeinschaften sind, sondern auch Baugemeinschaften. Und damit handelt es sich fast durchweg um Neubauten – das muss bei einer Besprechung auf einem Bauverbot-Blog natürlich kritisiert werden, macht die Wohntypen darum aber nicht weniger aufschlussreich. Und doch ist es schade, dass so wenige Umbauprojekte dabei sind. Ausnahmen sind das Kraftwerk 2, wo ein neuer Verbindungstrakt zwei bestehende Häuser verbindet, eine alte Tabakfabrik in Dresden, von der allerdings fast nur die Fassade stehenblieb, und der Umbau des Sandberghofes in Darmstadt. Dort entstanden in einer alten Hofanlage Wohnungen fürs Alter, und zwei Nebengebäude werden nun gemeinschaftlich genutzt: eine Scheune als Gemeinschaftsraum mit Küche, darüber ein Gästezimmer, und ein weiterer Bau für Werkstatt und Sauna.

So sehr sich die vielen Gemeinschaften umeinander gekümmert haben und um ihre gemeinschaftlich genutzten Flächen, so wenig kümmerte sich scheinbar der eine oder andere Bau um seine Nachbarschaft zum nächsten Haus. Manches Erdgeschoss wirkt abgeschlossen, auch wenn das nicht immer gut zu beurteilen ist anhand der Fotos und Pläne des Katalogs. Diese sind aber ansonsten ein großer Vorteil des Buches, das seinen Preis wert ist. Es lohnt allein deswegen, um zu sehen, wie unterschiedlich man heute in Gemeinschaft leben kann.

 

Ausstellung bis 28. Februar im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt am Main, siehe hier.
Dort gibt es eine Paperback-Fassung des Katalogs.

Buch (Hardcover)
Herausgeber: Becker, Annette; Kienbaum, Laura; Ring, Kristien; Schmal, Peter Cachola.
Bauen und Wohnen in Gemeinschaft / Building and Living in Communities
Birkhäuser Verlag, ISBN 978-3-0356-0564-8
284x245x25mm, 1364gr, 240 Seiten, 300 farbige Abbildungen; 59,95 Euro.

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Brigitte Schultz: Was heißt hier Stadt?
Kristien Ring (Hrsg.): Selfmade City
Niklas Maak: Wohnkomplex
Christopher Dell: Ware: Wohnen!

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Mehr über gemeinschaftliche Wohnformen im Buch Verbietet das Bauen!

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