Raum & Corona (3): Ferienwohnungen vs. überfüllte Wohnungen – brauchen wir jetzt eine Wohnungszwangswirtschaft?

Schlümpfe gedrängt

Manche drängen sich in Zeiten der Corona-Ausgangsbeschränkungen auf engem Raum.

Zuviel Platz haben die einen, zuwenig Platz die anderen: Da fahren manche kurz vor dem „Corona-Lockdown“ noch schnell in die Ferienwohnung und lassen ihre Stadtwohnung leerstehen, während andere sich während der Ausgangsbeschränkung zu fünft in zwei Räumen drängen. Wohnraum war auch vorher ungleich verteilt, aber jetzt wird es extrem ungerecht, und wir brauchen vielleicht eine ebenso extreme Korrektur: die Wohnraumzwangswirtschaft.

Keine Wohnungszwangswirtschaft
Seitdem 2015 mein erstes Buch „Verbietet das Bauen!“ erschien, wiederholte ich in zig Interviews, Diskussionen und Vorträgen, dass ich KEINE Zwangswirtschaft für das Wohnungswesen vorschlage. Wer das Buch gelesen hat, der weiß: es geht um ein Programm des Umdenkens, des Umbaus und der Umzüge, was soviel Platz schafft, dass für alle Menschen genug da ist. Eigentlich.
Besonders deutlich wurden meine Argumente, dass wir über mehr als genug Platz verfügen, so dass freiwillige Maßnahmen ausreichen, im Vergleich mit der Nachkriegszeit, als es tatsächlich eine so extreme Notlage gab, dass wir eine Wohnungszwangswirtschaft brauchten. Über zwölf Millionen Deutsche aus dem Osten Europas kamen als Flüchtlinge und Vertriebene nach Deutschland, in ein zerstörtes Land voller Ruinen. In der SBZ als Vorläufer der DDR war anfangs jeder vierte Bewohner ein zugezogener Flüchtling, schreibe ich im Buch Willkommensstadt, das sich auch mit dieser Zeit beschäftigt, um für heute daraus zu lernen.
Damals war es tatsächlich nötig, von einem Tag auf den anderen eine obdachlose Familie in jene Wohnung einzuweisen, in der es Platz gab – wenn es sein musste, sorgten bewaffnete alliierte Soldaten dafür, dass jemand seinen Wohnraum teilte. Diese Zwangseinweisungen hatten einen guten Nebeneffekt, wie ich im Willkommensstadt-Buch beschreibe: Integration gelang sehr schnell angesichts der Kontakte, die sich daraus ergaben, ob zum Mitschüler, zum Sportverein oder zur neuen Arbeitsstelle. Integration gelingt im Altbau.
Dieses Erfolgsrezept gelungener Integration fehlt uns heute, wenn wir solche erzwungene Nähe nicht nötig haben, und der Grund dafür ist ein positiver: Wir leben im Wohlstand, nicht mehr in Ruinen, wir leben im Wohnraumwohlstand. Darum reichen freiwillige Maßnahmen eigentlich aus, um Wohnraum für alle zu schaffen.

Freiheit und Verbot
Trotzdem steht ein Verbot im Titel meines ersten Buches, und so ein Bauverbot klingt nicht positiv. Es geht aber um ein Verbot auf einer höheren Ebene: das Bauen einschränken, aber dem Einzelnen das Wohnen ermöglichen. Im neuen Eingangskapitel der erweiterten Neuauflage von „Verbietet das Bauen!“ (erscheint am 5. Mai) steht das wie folgt:

Hundert Werkzeuge für Wohnraum im Bestand beweisen, dass wir nicht neu bauen müssen und dass es anders geht. Es ist ein positives Programm voller Möglichkeiten, was angesichts des Buchtitels vielleicht überrascht. Doch die Forderung nach einem Bauverbot soll nicht die Freiheit des Einzelnen beschränken, gut zu wohnen. Verbote brauchen wir auf einer höheren Ebene: Klare Regeln für Städte und Gemeinden, um Flächenverbrauch zu beenden – Freiheit für den Einzelnen, Wohnwünsche zu erfüllen.
Der Traum vom Eigenheim kann sich auch in einem alten Haus erfüllen, und die Städte sollten das fordern. Wer sich verkleinern möchte, dem soll es ermöglicht werden, und dadurch wird Platz frei für andere. Die zweite Hälfte dieses Buches zeigt Möglichkeiten, Altbauten besser zu nutzen und zusammenzurücken.

Corona: Mehr Platz für weniger Menschen?
Es geht also in meinen Thesen um schöne Dinge in einem Programm von Anreizen und Förderungen, was eigentlich reicht, um jedem genug Platz zukommen zu lassen. Aber auf den ersten Blick steht dieses Umbauprogramm in einem Widerspruch zu dem, was Corona für den Raum bedeutet: „Größere Räume für weniger Menschen“ bringt Till Burkhardt vom Kreis Steinfurt die derzeitige Tendenz auf den Punkt – beim Projekt LebensRäume geht es ihm eigentlich um eine ganz andere Richtung: Menschen in zu groß gewordenen Häusern erhalten dort eine Beratung, wie sie ungenutzten Raum sinnvoll verwenden können, etwa durch Umbau oder Umzug. Doch der Widerspruch löst sich auf, wenn man genau hinschaut, um wieviel Nähe es jetzt geht, und das von der Nachbarschaft unterscheidet.
Freilich müssen wir jetzt Abstand halten, und in Tagen von Heimarbeit und Ausgehsperren freuen wir uns über ein zusätzliches Zimmer. Andererseits benötigen grade ältere Menschen jetzt eine lebendige Nachbarschaft mit Menschen, die sie unterstützen und für sie einkaufen (darum geht es auch im Online-Vortrag „100 Werkzeuge für Wohnraum in Altbauten“, der am 15. Mai veröffentlicht wird). Wer als älterer Mensch allein im Haus lebt, hat teilweise zwei, drei oder gar mehr Zimmer, die er niemals benutzt, wie etwa das Forschungsprojekt LebensRäume mit beeindruckenden Zahlen herausgefunden hat. Das dritte ungenutzte Zimmer braucht ein Einzelner auch in Coronazeiten nicht. Darum bedeutet die Corona-Pandemie keinesfalls den Abschied von urbanen, dichten Städten, wie Laura Weissmüller in der Süddeutschen Zeitung behauptete. Und darum passen jetzt erst recht die hundert Werkzeuge für Wohnraum, um denjenigen Rat und Hilfe anzubieten, die sich allein im großen Haus fühlen. Wenn sie zum Beispiel umbauen und in einer Einliegerwohnung neue Nachbarn unterkommen, haben sie mehr Nachbarschaft, die grade jetzt gebraucht wird. Freiwillige Maßnahmen passen in solchen Fällen mehr denn je, um ungenutzte Zimmer wieder zu beleben und zugleich Einsamkeit zu bekämpfen.

Asozialer Raumüberfluss
Richtig ärgerlich wird die ungleiche Verteilung von Wohnraum in den Notlagen, die nun durch Corona entstanden. Kurz bevor in Frankreich die Reisebeschränkungen in Kraft traten, haben 1,2 Millionen Menschen die Region Paris verlassen, beschreibt Nadia Pantel in ihrem sehr lesenswerten Artikel „Quarantäne ist nicht gleich Quarantäne“ in der Süddeutschen Zeitung. Wohlhabende fuhren in die Ferienwohnung im Umland oder in der Provence. In reicheren Stadtvierteln in Paris stehen nun ganze Häuser nahezu leer, weil die Reichen die Stadtwohnungen derzeit nicht bewohnen.

Schlumpf mit Platz

Einige leben im Raumüberfluss und lassen noch dazu eine zweite Wohnung leerstehen.

Dagegen drängen sich ärmere Menschen in den Großsiedlungen der Vorstädte. In ihrem Zeitungsartikel beschreibt Nadia Pantel das Schicksal des ersten Franzosen, der wegen wiederholter Verstöße gegen die Ausgangssperre zur Strafe Sozialstunden ableisten muss: Nach einer Woche zu siebt in einer Zweizimmerwohnung hielt er es zuhause nicht ständig aus.
Wäre in solchen Fällen nicht doch eine Wohnungszwangswirtschaft angebracht, die zumindest während der Coronakrise dafür sorgt, dass Zweitwohnungen von denjenigen genutzt werden können, die dringend Wohnraum brauchen?

Zweckentfremdung
Schon vor der Krise war die Zweckentfremdung von Wohnraum verboten, und manche Städte haben gute Werkzeuge entwickelt, um das zu verhindern: Illegale Ferienwohnungen können auf Online-Portalen gemeldet werden (Werkzeug 26 von 100 in der Neuauflage von „Verbietet das Bauen!“), illegale Vermietung an Touristen wird mit Bußgeld bis 500.000 Euro bestraft (Werkzeug 27) oder sogar mit Gefängnis (Werkzeug 28). Und am besten für eine gute Nutzung des Wohnraums ist es, Zweitwohnungen zu verhindern, wie es manche Gemeinden tun (Werkzeug 25). Faktisch dienen Portale wie Airbnb wohl auch dazu, dass manche Vermieter Wohnraum illegal dauerhaft als Ferienwohnungen vermieten, ohne dass es am jeweiligen Ort erlaubt ist und ohne sich an die Regeln zu halten, die Hotels beachten müssen. Da klingt es beinahe zynisch, wenn nun ausgerechnet Airbnb wegen Corona anbot, dass Gastgeber Unterkünfte für Ärzte und Pflegekräfte bereitstellen, wie in der Süddeutschen Zeitung berichtet. Die bestmögliche Folge von Corona bezüglich Airbnb & Co. wäre: Manche Vermieter entdecken, wie schwankend das Geschäft mit Ferienwohnungen sein kann, und geben die Wohnungen wieder auf den regulären Markt.

Virusschutz
Was ist für den Schutz vor dem Virus die beste Verteilung von Menschen und Wohnraum? Wenn wohlhabende Städter aufs Land ziehen, bringen sie sich selbst in Sicherheit, aber andere in Gefahr – die Schriftstellerin Kristen Roupenian schilderte in einem Text, wie Corona durch solchen Zuzug nach Cape Cod in Massachusetts kam.
Aus Sicht der Städter stellt sich das genau umgekehrt dar: die Leserbriefspalten von Provinzzeitungen sind voll von bitteren Klagen, auch ältere und schutzbedürftige Menschen dürften nun ihre Zweitwohnung auf dem Land nicht mehr nutzen, sei es in Mecklenburg-Vorpommern oder im Oldenburger Land.
Mein Vorschlag: wenn sich Wohlhabende in ihre Zweitwohnung begeben möchten, dann sollen sie zum Ausgleich ihre Stadtwohnung für diejenigen bereitstellen, die dringend Wohnraum brauchen. Schon vor Corona gab es in den letzten Jahren immer mehr Menschen, die sich in zu kleinen Wohnungen drängen. In der Neuauflage des Bauverbot-Buches schildert das überarbeitete Kapitel 3 „Bauen ist unsozial“ den neuen Prozess der Investification, bei dem Geld (Investments) Menschen aus Wohnungen vertreibt – während anderswo

Geld statt Menschen im Legogrundriss

Hier wohnt das Geld: Wenn ein Investment in eine Zweitwohnung oder ein Renditeobjekt die Menschen verdrängt, ist das Investification. (Alle Fotos: Daniel Fuhrhop)

das „Crowding“ zunimmt, wie auf Seite 64 geschildert:

Investification spaltet unsere Städte räumlich und sozial. Sie verdrängt ärmere Menschen in andere Stadtviertel, oft an den Stadtrand. In den teurer werdenden Vierteln zeigt der Gegensatz von Enge und Leere die soziale Spaltung: Während die einen Wohnungen als Geldanlage dienen und sonst leerstehen, drängen sich in anderen Wohnungen die Menschen. Das »Crowding« nimmt zu, wo mehr Menschen in einer Wohnung leben, als diese Zimmer hat. Jahrzehntelang sank in Deutschland der Anteil derjenigen, die in derart überfüllten Wohnungen leben. Bis 2008 lebte noch jeder Zehnte so beengt. Seitdem aber stieg der Anteil der Menschen in überfüllten Wohnungen in Großstädten um zwei Drittel auf 16,5 Prozent im Jahr 2017 (Zahlen aus dieser Studie). Diese Menschen können es sich etwa nach der Geburt von Kindern nicht leisten, in eine größere Wohnung umzuziehen. Wer sich bewegt, verliert; das nennt man zynisch »Mietermikado«.

Zu Zeiten von Corona könnte man es nun für nötig halten, solche ungleiche Verteilung nicht durch nette Anreize zu beenden, sondern durch eine vorübergehende Wohnungszwangswirtschaft.

 

War das interessant? Dann lesen Sie Teil 2 zu Raum & Corona zum Entrümpeln und Teil 1 zu Bausünden und Spazierengehen. Und helfen Sie, damit der Blog betrieben werden kann.

Im nächsten Blogbeitrag geht es um die UmBauwirtschaft nach Corona. Bleiben Sie dran am Blog mit Newsletter, RSS-Feed (Seitenspalte) oder Facebook.

Mehr zur erweiterten Neuauflage von „Verbietet das Bauen!“ steht auf dieser Seite.

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