Zur suburbanen Wirklichkeit

Häuschen Grafik

„In vielen Diskussionen zur Siedlungsentwicklung wird so argumentiert, als gäbe es noch ein sehr großes Zeitfenster, bevor der Klimawandel eintritt“, schreibt Wilfried Wang in einem unbarmherzig realistischen Beitrag für Marlowes: Die Debatten um „die europäische Stadt“ liefen an der Realität vorbei, schreibt er, und nennt als Beleg den Anteil an der Gesamtfläche von Metropolregionen, den die verdichtete „europäische“ Innenstadt hat – er liegt in Berlin, Rhein-Main und München grade mal bei etwa einem Prozent. In diesem dicht bewohnten städtischen Gebiet leben in Berlin und Hamburg grade mal ein Drittel der Einwohner, in Köln nur zwanzig Prozent. Wang illustriert das mit farbigen Karten zum Siedlungsbrei und erinnert an das hehre Ziel, den Flächenverbrauch von 56 auf 20 Hektar am Tag zu senken, während im wahren Leben jährlich 90.000 weitere Einfamilienhäuser neu gebaut werden.

Exkurs An dieser Stelle muss ich vor einem Missverständnis warnen: Es geht um die Klimazerstörung durch den Neubau von Einfamilienhäusern – ein ganz anders Thema ist der Umgang mit Altbauten. Hier gilt unabhängig von der Bauweise, dass man die „graue Energie“ berücksichtigen muss, also den Energieaufwand für die Herstellung von Gebäuden, zum Beispiel für Zement. Bei einer ganzheitlichen Betrachtung von Energieaufwand für Bau und Betrieb (vor allem Heizen) und Mobilität schneiden alle Altbauten besser ab, als wenn allein auf die Energieeffizienz im Betrieb geachtet wird. Es ist eine beinahe banale Feststellung, dass sparsamere Neubauten errichtet werden können, als wir es bei der Sanierung von Altbauten schaffen. Wenn aber der Energieaufwand für Abriss eines Altbaus und für den Neubau ebenfalls betrachtet wird, sieht die Bilanz anders aus. Das zeigt auch die (neben der Kostenbilanz) einzige Tabelle von Verbietet das Bauen! auf Seite 95 (in der Neuauflage 2020) mit einem realen Beispiel aus Bremerhaven.

Es geht also gegen die Klimaschäden durch Neubau, und die sind nunmal bei Einfamilienhäusern mit ihrem Flächenverbrauch größer als bei kompakteren Bauweisen. Obendrein entstehen die neuen Eigenheime oft in schrumpfenden Gegenden, darauf macht sogar das Institut der deutschen Wirtschaft aufmerksam: „In insgesamt 69 der 401 Kreise wurde im Zeitraum 2016 bis 2018 über 50 Prozent mehr gebaut, als der Wohnungsbedarf bis 2020 angibt. In 31 ausschließlich Landkreisen liegt die Quote sogar über 200 Prozent. Dort werden Neubauten gegenüber Altbauten bevorzugt, obwohl diese gerade in diesen Kreisen häufig leer stehen. Da es sich in der Regel um Kreise mit sinkender Bevölkerung handelt, entstehen dort weitere Leerstände in den Stadt- und Dorfzentren. Die Zersiedlung der Siedlungsstrukturen führt zu steigenden Infrastrukturkosten pro Kopf.“ (Henger/ Voigtländer 2019).

Das verschlimmert die Zersiedelung, die Wilfried Wang in seinem Marlowes-Beitrag in seinen Grafiken illustriert. Der bittere, aber lesenswerte Beitrag macht klar, warum wir der Parole „Bauen Bauen Bauen“ etwas entgegensetzen müssen, ob nun eine ebenso provokative Gegenparole oder eine Bauscham.

Link: Zum Marlowes-Beitrag
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