Das Recht eines Eigentümers wird in Deutschland stark geschützt, sogar das Recht, mit seiner Sache nach Belieben zu verfahren, sein Haus leerstehen und schrittweise verfallen zu lassen. Darum nutzen auch die in Teil 2 geschilderten sanierungswilligen Bewohner und kaufwilligen Kommunen nichts, wenn ein entscheidender Wille fehlt – der des Eigentümers, sein Gebäude zu verkaufen oder es zumindest bewohnen zu lassen. Für diese hartnäckigen Fälle gab es bis 2010 in den Niederlanden den Ausweg der legalen Hausbesetzung. Genau genommen waren es nachträglich legalisierbare Besetzungen: Wenn ein Haus mindestens ein Jahr leer gestanden hatte, dann wurden Besetzer, die „Kraaker“, von Rechts wegen geduldet. Die Eigentümer konnten die ungebetenen Bewohner nur schwer wieder loswerden und achteten darauf, ihre Häuser entsprechend zu sichern oder eben sie selbst zu vermieten. Seit 2010 aber sind und bleiben Hausbesetzungen auch in den Niederlanden illegal. Dagegen hat eine Form der Nutzung von Häusern diesen Wandel überlebt, die eigentlich als Gegenmittel zu Besetzungen gedacht war: das Anti-Kraak oder auch Leerstandsmanagement. Firmen wie Camelot vergeben leerstehende Wohnungen, Büros, Fabriken und sogar Schlösser zur Zwischennutzung, häufig an Studierende. Die zahlen wenig Geld, verhindern durch ihre Anwesenheit eine Besetzung, müssen aber im Gegenzug kurzfristig wieder raus, wenn der Eigentümer doch neue Pläne entwickelt. Befürworter begrüßen dieses Anti-Kraak, weil leere Häuser genutzt werden, Kritiker aber verurteilen die Vermietung ohne Mieterrechte. Auf Deutschland lässt sich das Modell zwar wegen des besseren Mieterschutzes nicht einfach übertragen, trotzdem ist Camelot inzwischen auch hierzulande aktiv und wirbt bei Eigentümern für diese Zwischennutzung als Schutz vor Vandalismus und Verfall.
Was tun, wenn Eigentümer sich nicht dafür interessieren, ihre Gebäude zu schützen? In den Niederlanden haben auch nach der Gesetzesänderung 2010 viele „Kraaker“ einfach weiter Häuser besetzt. Die wurden dann aber meist sofort wieder von der Polizei geräumt. So geht es auch in Berlin seit 1981; der „Berliner Linie“ folgend werden besetzte Häuser umgehend geräumt. Vorher war das anders: In der Hochphase um 1980 wurden rund 170 Gebäude in Berlin besetzt, und dann wurden viele davon dauerhaft legalisiert. In manchen dieser einst illegal besetzten Häuser leben heute wohlsituierte Anwälte. Gepflogenheiten ändern sich, und auch Gesetze können sich ändern, wobei erneut die Niederlande vorn sind.
Leerstand bekämpfen mit Gespräch und Gesetz
Im Jahr 2004 sah die Stadt Amsterdam die Gefahr eines dramatisch großen Leerstands von Büros. Von den damals rund 7 Millionen Quadratmetern Büros standen bereits um die 12 Prozent leer, aber zusätzlich planten Investoren Bürobauten mit etwa 3,5 Millionen Quadratmeter neu zu bauen. Daraufhin entschloss sich die Gemeinde, auf verschiedene Weisen einzuschreiten. So schuf sie die Stelle eines Büromarkt-Lotsen. Paul Oudeman und sein Team bekämpfen seit 2006 den Leerstand. So sammelten sie erstmal Informationen über die leerstehenden Gebäude, die man jederzeit auf einer Karte auf ihrer Webseite sehen kann. Außerdem sind sie dazu da, „den Menschen zu helfen“, sagt Oudeman. Er berät Investoren, wie sie zu neuen Mietern kommen können oder ihre Gebäude umnutzen. Viele leeren Bürohäuser wurden zu Hotels oder zu Studentenappartements umgebaut, allein 2012 und 2013 wurden rund 200.000 Quadratmeter umgenutzt. Die Stadt Amsterdam weist zudem weniger Baugebiete aus. Die Investoren haben wegen all dieser Maßnahmen inzwischen viel vom Leerstand gehört und schrecken vor neuen Bauplänen zurück. So sank die „Pipeline“ geplanter Büroneubauten in den letzten sieben Jahren von 3,5 auf 0,5 Millionen Quadratmeter.
Um auch gegen uneinsichtige Eigentümer vorgehen zu können, haben die Amsterdamer jetzt neue Möglichkeiten, die Friederike Henke und Maarten Poerink in der Immobilien Zeitung vom 22.8.2013 detailliert beschrieben. Seit 2011 gibt es ein neues Leerstands-Gesetz in den Niederlanden. Auf dessen Grundlage haben Gemeinden wie Amsterdam eine Leerstands-Verordnung erlassen, die drei Schritte vorsieht: Erst muss jeder Eigentümer spätestens nach drei Monaten den Leerstand seiner Immobilie mitteilen. Das ist sozusagen die professionelle Variante der aus deutschen Städten bekannten Leerstandsmelder. Als Zweites spricht der Büromarkt-Lotse mit ihm darüber, was er tun kann, was in den auf Ausgleich bedachten Niederlanden meist viele Monate dauert. Falls aber alle Gespräche scheitern, dann kann die Stadt einen dritten Schritt gehen – sie kann selbst einen geeigneten Mieter zuweisen. Laut Paul Oudeman wäre dies zum Beispiel sinnvoll, wenn in einem Gebiet drei von vier Eigentümern einem Umbauplan zustimmen, doch der vierte weigert sich hartnäckig und droht dadurch, die Wiederbelebung des Quartiers zu blockieren. Derzeit gebe es womöglich einen ersten Fall, wo die Gemeinde einen Mieter für ein leerstehendes Bürogebäude zuweisen wird. Sollte es dazu kommen, müsste die heikle Frage geklärt werden, zu welcher Miete das geschieht. Laut Gesetz müsste diese angemessen sein („reasonable“, so Oudeman), doch was das in Euro bedeutet, da könnten die Meinungen des Eigentümers und der Stadt auseinandergehen. Vielleicht müsste dann ein Musterprozess klären, ob die neuen Möglichkeiten der Stadt vor Gericht bestehen. Falls ja, würde einem auch in Deutschland gültigen Leitsatz Rechnung getragen: Eigentum verpflichtet.
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