Viel Gutes ist derzeit zu lesen über das Bikini Haus Berlin, eine Ikone der Nachkriegsmoderne, die mit viel Liebe zum Detail umgebaut wurde. Doch auch dieses Center wird einige Dutzend Millionen Euro jedes Jahr von anderen Handelsorten absaugen, die dort fehlen. Oder haben wir etwa zwei Portemonnaies, wie der Berliner Senat mutmaßt, der diesem Text im Tagesspiegel zufolge davon ausgeht, dass sich Center vor allem untereinander Kunden abjagen? Zugegeben: die Werbung der Betreiber stimmt, derzufolge sie weder an H & M noch an Zara noch andere der üblichen Verdächtigen vermieten. Stattdessen finden sich eine ganze Reihe von unbekannteren Marken und Modedesignern und sogar provisorische Shops für Existenzgründer. Ein schönes Konzept am falschen Ort, denn die ungewöhnlichen Läden sehen wir lieber in den klassischen Handelsstraßen, wo es hier und dort noch alteingesessene Originale oder junge Gründer gibt. Um bei denen einzukaufen, braucht man nunmal Geld, und egal wie cool und neu die Shops im Bikini Haus sein mögen, wer dort sein Geld ausgibt, bekommt es nirgends rückerstattet. Und so schadet auch dieses Center den bestehenden Handelsstraßen und -plätzen.
Eine Zwischenbemerkung zur Größe des Schadens, den das Bikini Center bewirken wird:
Mein Eindruck nach einem ersten Rundgang deutet darauf hin, dass es weniger schaden wird, als die 17.000 Quadratmeter Handelsfläche in anderen Centern. Das liegt anfangs daran, dass es noch nicht voll vermietet ist, aber das kann sich ändern. Außerdem haben einige der vermieteten Läden zu Beginn noch nicht eröffnet, aber das wird sich schon in den nächsten Tagen und Wochen ändern. Des weiteren werden manche der Mieter in den provisorisch wirkenden Miniläden, manche Existenzgründer und kleine Marken nicht soviel Miete zahlen können wie die üblichen Filialisten. Für diesen Verzicht auf Mietmaximierung bei einzelnen Läden zugunsten des Ertrags des gesamten Centers sind Centerbetreiber bekannt, doch beim Bikini Center geht es über den üblichen dekorativen Obsthändler weit hinaus, hier wird wirklich zugunsten von Originalität auf eine bedingungslose Gewinnmaximierung verzichtet. Schließlich allerdings wirkt manches im Bikini Haus etwas fehlkonzipiert: Die großzügige Freitreppe lockt aufs Dach, aber sie lässt den eigentlichen Eingang im Erdgeschoss verblassen und den Besucherstrom dort nur langsam anschwellen. Viele kleine Läden auf dem Dach sind ausschließlich von dort zugänglich, was schon heute auf lange Gesichter bei den Händlern vor allem an Regentagen hindeutet. Und auch innen ist die Wegeführung wegen der Freitreppe etwas vermurkst. Fast tut es mir leid, ein so schlecht konzipiertes Center zu sehen. Doch dann überwiegt die Freude, dass darum der Schaden für andere Handelssorte vielleicht nicht 50 Millionen Euro sondern nur 25 Millionen Euro oder weniger jährlich betragen wird.
Die nächsten Shopping-Center in Berlin folgen bald, und die schaden sicher mehr und sehen obendrein schlechter aus: Leipziger Platz mit rund 70.000 Quadratmeter Verkaufsfläche, weitere Center in Moabit und an der Warschauer Straße, und es gibt wilde Pläne für weitere fette Center im ICC sowie in einem großen Häuserblock mit dem Karstadt am Kudamm. Da wären wir also wieder in der City West, und glaube keiner, die wäre unzerstörbar. Als größte Handelslage in Berlin wirkt sie unangreifbar, aber seit Jahren entsteht neben der Ost-West-Achse am Straßenzug Kurfürstendamm und Tauentzien eine Nord-Süd-Achse der Centerisierung: Vom Europa-Center und dem Neuen Kranzler Eck geht es nördlich bis zum Stilwerk. Südlich droht ein Center vom Karstadt zur Augsburger Straße. Je mehr sich auf diese Weise in der Mitte konzentriert, desto schwächer wird die prächtige Handelsstraße an ihren Enden, vor allem im östlichen Bereich des Kudamms ab Olivaer Platz und Adenauerplatz. Zu dieser Schwächung trägt das Bikini Center nördlich vom Europa Center bei.
Mehr Beiträge zu Shopping-Centern im Überblick.
Würdigung für Text und Fotos über Flattr oder auf diesen Wegen. Danke!