Kein Neubau ist besser als das Französische Viertel Tübingen

Foto Französisches Viertel.

Unten Ladenlokale (zum Beispiel vorn rechts ein kleiner Gewerbebetrieb), oben Wohnungen, und am Straßenrand keine Autos: eine typische Straße im Französischen Viertel Tübingen.

„Wenn Neubau überall so aussähe wie im Französischen Viertel“, beginnt ein Satz auf Seite 52 des Buches Verbietet das Bauen!, und ganz ähnlich zitiert mich der Reutlinger General-Anzeiger in seinem Beitrag zu meinem Vortrag in Tübingen. Soweit ist das völlig korrekt, und auch ein weiteres Zitat meines Vortrags trifft zu, dass nämlich der Städtebau im Französischen Viertel „meilenweit besser als das, was sonst überall entsteht“ ist. Entscheidend ist aber, wie der einleitende Satz weitergeht – und da muss ich dem Reutlinger General-Anzeiger widersprechen, der mich so interpretiert, dass ich bereit sei, für Tübingen „eine Ausnahme zu machen“. Zwar sehe ich die Vorteile des Französischen Viertels, wo tatsächlich nicht nur eine reine öde Wohnsiedlung entstanden ist (oder ein Büroviertel), sondern ein Stück Stadt, wie bereits im Blog hier beschrieben. Aber bezüglich zweierlei Aspekten habe ich dann auch vor Ort bei meinem Vortrag doch Kritik geübt.

Zum einen ist leider selbst in Tübingen kein Neubau besser als das Französische Viertel, weil auch dort in den neuen Stadtvierteln entscheidende Details nicht mehr beachtet werden:  Vor allem die ganz kleinteilige Mischung von Arbeiten und Wohnen Haus für Haus, die in unseren Altstädten und Gründerzeitvierteln selbstverständlich ist. Während sie im Französischen Viertel genauso durchgeführt wird, weicht das in den neuen Tübinger Stadtentwicklungen einer etwas gröber geordneten Mischung. Die ist immer noch besser als fast alles andernorts, aber dennoch ein Rückschritt. Freilich macht es bislang den Bauherren der oberen Etagen Probleme, sich um die Finanzierung und Vermarktung der Ladenlokale im Erdgeschoss zu kümmern. Doch weist das neu gebaute Stadtviertel Wien Aspern einen Weg, wie dies durch Bündelung der Ladenlokale beherrscht werden kann, wie hier im Blog beschrieben. Sollte die Stadt Tübingen sich beraten lassen wollen, wie sich das auch bei ihnen umsetzen lässt, so bin ich gern dazu bereit. Dann könnte man auch über die Quartiersgaragen sprechen, die dafür sorgen, dass jeder von seinem Auto (sofern er eines fährt) zur Wohnung durch die Straße und an den Läden vorbeigeht, wie dies im Französischen Viertel ist – und auch in Wien Aspern.

Keine Ausnahme : Rettet die Tübinger Grünflächen!

Alles Lob für das Französische Viertel führt zum anderen lediglich dazu, dass der besagte Satz des Buches wie folgt weitergeht: „Wenn Neubau überall so aussähe wie im Französischen Viertel, gäbe es weniger Grund, ihn zu bekämpfen.“ Und weniger Grund ist nicht gleichzusetzen mit kein Grund, daher gilt nach wie vor: Nicht neu zu bauen – also „kein Neubau“ – ist noch besser als das Französische Viertel. Denn die starken Gründe gegen Neubau gelten nach wie vor: Unsere Städte werden zersiedelt, und die Freiflächen versiegelt; das wurde auch in der Tübinger Diskussion um die letzten freien Flächen deutlich, die bedroht sind (siehe Kapitel 2 und 4 des Buches). Teuer ist jeglicher Neubau außerdem, und die vielen neuen Wohnungen sind darum nicht die Antwort auf soziale Fragen, wie in Kapitel 3 des Buches ausgeführt wird, denn die günstigsten Mieten findet man immer in Altbauten.

Nicht zuletzt geht es auch anders, wenn wir unsere Flächen besser nutzen – zum Beispiel in Krankenhäusern. Wir konnten es in Tübingen nicht ausdiskutieren, aber hat das expansionslustige Universitätsklinikum bereits seine Abläufe optimiert und sich von Flächenmanagern beraten lassen, wie auf Seite 110 des Buches beispielhaft geschildert? Und zu Recht kritisierte eine Zuhörerin in Tübingen, dass in der Stadt neu gebaut wird, während man in kleinen Orten nicht weit entfernt sogar Krankenhäuser geschlossen hat!

Fünfzig Werkzeuge (Anregungen, Beispiele und Ideen) schildert das Buch, um unsere Häuser besser und anders zu nutzen und dadurch Neubau überflüssig zu machen. Erst wenn all diese Werkzeuge angewendet werden und wir dann dennoch sehen sollten, dass es nicht reicht, könnte man über Neubau sprechen. Aber das Ergebnis würde sicher lauten: Wir brauchen keinen Neubau, nirgends – wir brauchen unsere vorhandenen Häuser und sollten sie schützen, ebenso wie unsere Parks, unsere Äcker und Wiesen.

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Ein Gedanke zu „Kein Neubau ist besser als das Französische Viertel Tübingen

  1. Andreas Rieger

    Kritik ist gut, aber gut bauen besser. Davon sind wir schon so entwöhnt, dass niemand mehr weiß wie das geht. Dabei gibt es eine ganz einfache Maxime: „Jede Veränderung, die keine Verbesserung ist, ist eine Verschlechterung“ (Adolf Loos)

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