Warum Proteste gegen Berlins vielleicht größtes Shopping-Center nahelägen
Der Protest am Gezi-Park in Istanbul entzündete sich an einem Shopping-Center, für das Bäume gefällt wurden und ein Park verschwinden sollte. Wenn am 25.9.2014 die „Mall of Berlin“ am Leipziger Platz eröffnet, dann handelt es sich um das vielleicht größte und zerstörerischste Shopping-Center Berlins. Die Größe wird einem klar, wenn man vom Potsdamer Platz aus die Leipziger Straße entlang blickt: Fast die komplette Nordseite bis zur Wilhelmstraße gehört Investor Harald Huth und seinen Ko-Investoren. Es beginnt hinter der kanadischen Botschaft mit den drei Häusern am Leipziger Platz 16 (AvD-Palais), 15 und 14 (Mossepalais). Dann kommen mit der 13 und dem „Leipziger Platz 12“ die Grundstücke, auf denen einst das Kaufhaus Wertheim stand. Ursprünglich sollte nur dort das Shopping-Center entstehen, doch dann kauften Huth und seine Ko-Investoren immer mehr Flächen; vier Erweiterungen zählt die „Immobilien Zeitung“. Darum geht es bei der „Mall of Berlin“ heute dreihundert Meter die Leipziger Straße lang und dann durch die Wilhelmstraße bis zur tschechischen Botschaft. Das große Atrium des Sony-Centers würde gleich dreimal längs in diesen Block passen, oder einmal quer, denn mit 200 Metern ist die „Mall of Berlin“ beinahe so breit wie andere Shopping Malls lang. Insgesamt könnte das Center das größte Berlins werden, weil zwar die Gropiuspassagen über 90.000 Quadratmeter zählen, während in der Mall am Leipziger Platz vorerst etwa 270 Läden auf 76.000 Quadratmetern eröffnen. Dort kommen aber obendrein schon heute die Flächen für etwa 30 Restaurants dazu, und die Erweiterung der Centerfläche innerhalb des Häuserblocks in der Leipziger Straße 126 – 128 ist bereits geplant. Wieviel Quadratmeter dort dazukommen, wollte Investor Huth mir zwar nicht verraten, aber der „Immobilien Zeitung“ gegenüber sprach er von 50 Läden, und die würden vielleicht Ende nächsten Jahres den Häuserblock am Leipziger Platz zu Berlins größtem Shopping-Center machen. Das zerstörerischste wäre es dadurch, weil dann in der Mall nach branchenüblichen Zahlen über 400 Millionen Euro eingenommen würden. Und diese 400 Millionen werden anderen Handelsorten fehlen, vor allem den Händlern in Berlins Stadtvierteln und Handelsstraßen. Es wird zwar schwer zu sehen sein, wo genau, denn der Schaden trifft bei einem so großen Center nicht allein die Nachbarbezirke, sondern ganz Berlin von Kreuzberg bis Köpenick. Sicher aber wird Investor Huth nicht mit einem dicken Sack Geld ankommen und den Berlinern und Berlinbesuchern soviel schenken, wie sie bei ihm ausgeben. Zwar sagt Huth, in der „Mall of Berlin“ würden viele Touristen einkaufen. Aber man wird man am Eingang wohl keine Passkontrolle machen und Berliner draußen lassen. Außerdem würden die Touristen sonst ähnlich viel Geld in anderen Berliner Läden lassen.
Wozu Centertricks gut sein könnten
Bisher meinte mancher, dass große Shopping-Center nur kleine Städte gefährden, so wie das Centro Oberhausen die dortige Innenstadt ruinierte. Aber Berlin ist nicht unverwundbar: Mit der „Mall of Berlin“ eröffnet das 67. Center der Stadt. Die vereinen über eine Million Quadratmeter Verkaufsfläche, auf denen jährlich rund vier Milliarden Euro ausgegeben werden, etwa ein Viertel des Handelsumsatzes von Berlin. Das dort ausgegebene Geld fehlt den Handelsstraßen. Selbst der scheinbar kraftstrotzende Kurfürstendamm wird seit Jahren geschwächt: Entgegen seiner Ost-West-Lage arbeiten Centermacher daran, Handel in seiner Mitte in Nord-Süd-Richtung zu konzentrieren. Auch da ist Investor Huth dabei mit der Überlegung, den Karstadt in Richtung Augsburger Straße gen Süden zu einem Center zu erweitern. Nach Norden entstanden bereits das Neue Kranzler Eck, das Stilwerk und vor kurzem das Bikini Berlin.
Bei der sogenannten „Concept Mall“ im Bikinihaus zeigt sich, wozu das Erfolgsrezept der Shopping-Center genutzt werden könnte: Man findet dort keinen H & M, kein Zara oder andere übliche Filialisten. Stattdessen vereinen die Betreiber eine Reihe origineller Modemacher. Das schaffen sie dank des centertypischen Managements aus einer Hand. Ein einziger Betreiber entscheidet über die richtige Mischung der Läden. In fast allen Centern erschöpft sich die Originalität mit dem Gemüsehändler und dem Eiscafé, doch das Bikini Berlin verzichtet tatsächlich auf Gewinnmaximierung zugunsten ungewöhnlicher Läden. Freilich setzt auch das Bikini Berlin 30 und mehr Millionen Euro im Jahr um, die sonst anderswo ausgegeben würden, und trägt zur Konzentration des Handels bei.
Centerisierung der Zentren
Wie man Tricks der Center für klassische Handelsstraßen nutzen könnte, dafür liegt in Berlin ein Vorschlag auf dem Tisch: Mit dem BID-Gesetz sollen „Business Improvement Districts“ gegründet werden, wie sie in Hamburg bereits üblich sind. Wenn sich genug Eigentümer einer Straße zusammentun und nur wenige widersprechen, dann müssen ausnahmslos alle etwas Geld in einen Topf werfen, auch diejenigen, die vorher dagegen waren – Trittbrettfahrer gibt es nicht. Aus dem Topf bezahlt man dann gemeinsames Marketing oder neues Straßenpflaster. Einerseits klingt das gut, weil sich dann die Eigentümer in schwachen Einkaufsstraßen zusammentun. Andererseits sieht man in Hamburg, dass gerade die stärkeren Handelsstraßen BIDs gründen, also die filialisierten teuren Ecken. Vielleicht sollten darum die Händler etwas Besonderes leisten, um sich die Erlaubnis zu verdienen, mit einem BID-Gesetz Centertricks anwenden zu dürfen: Sie sollten aus ihrem Topf originelle Händler fördern und vielfältige Stadtviertel schaffen.
Bislang werden nicht in Stadtzentren 300 Läden aus einer Hand gemanagt, sondern nur in Shopping-Centern wie der „Mall of Berlin“. Von der Wilhelmstraße bis zum Leipziger Platz bildet sie ein eigenes Stadtviertel. Die Investoren berufen sich auf die Tradition des Kaufhauses Wertheim am Leipziger Platz. Aber zum einen lag das damals in einem dicht bewohnten Stadtgebiet, während heute zwischen Reichstag und Potsdamer Platz vor allem Touristen herumlaufen. Zum anderen gab es früher in Berlin nicht 66 weitere Shopping-Center. Der Schaden dieser Konkurrenz für die klassischen Handelsstraßen ist groß. Die Antwort darauf ist in den Füßen der Berliner: Sie entscheiden jede Woche aufs Neue, wo sie einkaufen. Wenn Gäste kommen, dann muss niemand mit ihnen zur Mall gehen, sondern man kann ihnen die Markthalle IX in Kreuzberg zeigen. Und wenn doch jemand zum Leipziger Platz geht, dann müsste es doch erlaubt sein, die Mall wegen der vielen Menschen als öffentlichen Ort zu behandeln, an dem Demonstrationen erlaubt sind, oder zumindest ein Picknick wie im Gezi-Park.
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