XXXL-Bauwut, zum Beispiel in Gera

Tisch

Da freuen sich alle um die Wette: Endlich soll man auch in Gera Möbel einkaufen können, auf insgesamt 36.000 neu zu bauenden Möbelmarkt-Quadratmetern in einem XXXL-Lutz und einem Mömax. Auf dem Foto in der Ostthüringer Zeitung sieht man die Bürgermeisterin Viola Hahn mit dem Expansionsleiter der XXXL-Gruppe und anderen freudig in die Kamera schauen, und da will auch die Zeitung selbst nicht zurückstehen und kommentiert, dass es nun gute Aussichten für Gera gebe. Schließlich wolle die XXXL-Gruppe über sechzig Millionen Euro investieren und über 200 Mitarbeiter beschäftigen, auf einem ehemaligen Kasernengrundstück nahe der Autobahnausfahrt Gera-Langenberg. Upps. Wer diese Zeilen liest und Gera kennt, wird nun aufhorchen. Einen Möbelmarkt nahe der Autobahnausfahrt Gera-Langenberg gibt es nämlich schon. Es geht um Möbel Rieger mit über 32.000 Quadratmetern, auf denen 150 Menschen arbeiten, wie zum Beispiel beim Besuch eines früheren Bürgermeisters zu lesen war. Was wohl aus diesen 150 Arbeitsplätzen wird, wenn einer der weltgrößten Möbelhändler gleich nebenan ein konkurrierendes Haus baut? Und was aus den Arbeitsplätzen in allen anderen Möbelläden in Gera wird, wenn hier ein XXXL-Möbelangebot dazukommt?
Nun soll die Politik natürlich nicht den einen Möbelhändler vor unliebsamer Konkurrenz des anderen schützen, doch sie soll durchaus das große Ganze im Blick haben und das Gleichgewicht des lokalen Einzelhandels. Und da lassen die Zahlen Zweifel aufkommen: Die gesamte Handelsfläche von Gera beträgt etwa 230.000 Quadratmeter, so steht es auf der städtischen Webseite. Allein die neuen XXXL-Pläne würden also die Verkaufsfläche von Gera um etwa fünfzehn Prozent erweitern! Und das nicht grade in einem wachsenden Markt, denn die Einwohnerzahl von Gera sank von gut 135.000 vor der Wende auf heute knapp unter 100.000, trotz Eingemeindungen. In einer um über ein Drittel geschrumpften Stadt sollen also 36.000 Quadratmeter neue Verkaufsfläche entstehen, das sind, um es mit einem letzten Vergleich zu verdeutlichen, etwa Zweidrittel so viele Quadratmeter wie sämtliche Läden der Geraer Innenstadt umfassen.

Was tun ohne XXXL-Neubau
Keine Überraschung also, das schon jetzt einige Handelslagen nicht recht funktionieren und es „viel Leerstand in Geras Einkaufstempeln“ gibt, wie die Ostthüringer Zeitung berichtete. Gut möglich, dass die blitzneuen XXXL-Möbelmärkte trotzdem laufen würden, schließlich sind da Profis am Werk und würden einen neuen lokalen Marktführer errichten. Nur das Geld, das dort ausgegeben wird, das würde eben den anderen Händlern fehlen, Möbel Rieger und vielen weiteren, und dann wird hier und da ein Händler pleitegehen und die Zahl der Arbeitsplätze wird dadurch so wenig steigen wie sich das Geld nicht wundersam vermehrt.
Was statt XXXL-Neubauten gut für Gera wäre, weiß man dort eigentlich selbst. So haben sich die Stadt und die Bürger 2014 nach langen Vorarbeiten ein „Integriertes Stadtentwicklungskonzept“ gegeben, dass man hier runterladen kann. Und da hat sich die Stadt zum Beispiel vorgenommen, den Ausstoß von CO2 alle fünf Jahre um 10 Prozent zu senken (Seite 21), und das schafft man wohl nicht, wenn an der Autobahn ein großes Möbelhaus mit großem Einzugsgebiet entsteht, so dass die Menschen weite Wege zum Möbelkauf fahren. Stattdessen soll die Innenstadt gestärkt werden, mit kurzen Wegen im Stadtzentrum, denn dort soll Einkaufen „attraktiv und kundenfreundlich“ werden (Seite 55). Nun gut, große Möbel kauft man bislang nur selten in Stadtzentren, obwohl es selbst dafür Beispiele gibt wie Möbel Hübner in Berlin oder Ikea in Hamburg Altona. Aber wenn es an der Autobahn sein soll, dann steht in Gera-Langenberg ja bereits ein Möbelhaus. Das sollte reichen.

 

Traurige Parallelen zur Möbelhaus-Planung in Gera gibt es bei der Gartencenter-Planung in Oldenburg. Mehr Texte dieses Blogs rund um Handel hier im Überblick.
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5 Gedanken zu „XXXL-Bauwut, zum Beispiel in Gera

  1. Marcel Dally

    Ohje, tatsächlich haben wir uns mit ähnlicher Problematik schon befasst. Sehr traurig, dass die Weitsicht in den oberen Etagen nach so viel Erfahrung trotzdem fehlt. Auch wir haben etwas dagegen zu steuern versucht, leider ohne Erfolg. Aber das war zu erwarten. Hier ein kurzer Auszug aus unserem Wirtschaftsfilm:
    https://m.youtube.com/watch?v=_EmtF-N8JN0

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  2. DS

    Ich glaube nicht, dass der neue Möbelmarkt etwas am Kaufverhalten innerhalb Geras und deren Einwohnern ändert. Die meisten Kunden werden nicht Gera kommen. Ziel der Investoren ist eher das Einzugsgebiet von Erfurt bis Chemnitz abzudecken. Da liegt Gera zentral und ist von allen Seiten innerhalb 1 h zu erreichen. Für den Auswahl suchenden Kunden ein akzeptabler Weg. Wenn Gera schlau ist, nutzt es den neuen Möbelmarkt und lockt auswärtige Kunden zusätzlich in die Innenstadt.

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    1. Bauverbotler Beitragsautor

      Erstaunlich, dass Sie die Werbeworte der Investoren und Politikern wiederholen, wo doch eine einfache Rechnung andere Ergebnisse bringt: Auf den geplanten 36.000 Quadratmetern Möbelmarkt werden grob geschätzt etwa 50 Millionen Euro im Jahr ausgegeben. Die werden dann bestehenden Händlern fehlen, weil sie ja nicht vom Himmel fallen, sondern nur umgelenkt werden. Nehmen wir an, es würden tatsächlich nur ein Drittel aus Gera kommen, dann fehlen den dortigen Händlern wie Möbel Rieger immerhin jedes Jahr über 15 Millionen Euro – entweder entsprechend viele Arbeitsplätze fallen weg, oder der Standort lohnt nicht mehr und muss zumachen. Dass die anderen Zweidrittel dann anderen Händlern zwischen Erfurt und Chemnitz weggenommen werden, macht die Sache auch nicht besser. Solcher Neubau im schrumpfenden Markt ist eine zerstörerische Konkurrenz für die bestehenden Händler.

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  3. ED Färber

    Danke für die sachliche Analyse. Allerdings ist der Verkäufer des Grundstücks ein Günstling der OB und da interessiert das ISEK oder das soeben beschlossene Einzelhandelskonzept einen feuchten Dreck. Das der Fillialist vermutlich keinen Steuercent ins Stadtsäckel zahlt ist auch nicht so wichtig, Hauptsache die Regentin konnte mal wieder in der Presse ihren gelben Schal spazierenführen. Im Lokalblatt „Neues Gera“ von AfD-Stadtrat und Hahns Rotarier-Clubfreund Harald Frank wurde der Handelszwerg XXL schon zum Wirtschaftsriesen befördert.

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  4. DS

    Also ich finde es sehr Traurig das die Stadt Gera sowas macht vor allem wenn man sich die letzten 20 Jahre von XXXL mal anschaut habe die immer Grundstücke gekauft in der Nähe von Mitbewerbern und Sie dann übernommen. Also ist die Rechnung das Personal eingestellt wird sinnlos auch wenn er neu Baut werden andere Möbelhäuser Personal gehen lassen müssen. Man sollte in Gera über manche Sachen einfach mal nachdenken wie kann es sein das Gera nur einen richtigen Baumarkt hat oder einen Elektronikanbieter aber ein viertes Möbelhaus.

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