Eine Alternative zu den Neubaumilliarden des Wohngipfels fragt danach, wo und wie Menschen wohnen
Der lange und verdächtig heiße Sommer war noch in guter Erinnerung, da präsentierte die Regierung beim Wohngipfel ein Milliardenprogramm für Neubau, das aber den Klimawandel beschleunigen wird. Dieser Widerspruch fiel auch den Politikern auf, weshalb sie in den Wohngipfel-Ergebnissen schrieben: „Bezahlbares Bauen und Wohnen, Energieeffizienz und Klimaschutz dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden“. Doch dieses Bekenntnis zum Klimaschutz blieb eine Phrase, denn der Wohngipfel bietet sonst nur Neubau, für den an die fünfzehn Milliarden Euro fließen (in Baukindergeld, sozialen Wohnungsbau und Sonderabschreibung), und der die Sommer noch heißer machen wird.
Die Milliarden sollen einen Bauboom auslösen, der jedoch das Klima zerstört: Es erfordert viel Energie, ein Haus zu bauen, und selbst sogenannte Energiesparhäuser sparen keine Energie, sie verbrauchen nur weniger Heizenergie als andere Häuser – sie neu zu bauen verbraucht aber oft mehr Energie, als sie in ihrer gesamten Lebensdauer von fünfzig und mehr Jahren an Heizenergie benötigen. Bauen schadet dem Klima, und obendrein verschwinden dadurch die grünen Flecken, die unsere Städte im Klimawandel kühlen.
Der „alternative Wohngipfel“ bot dazu keine Alternative, denn die Proteste wenden sich gegen hohe Mieten und Spekulation, rufen aber nicht zu weniger Bauen auf, nur zu anderem, zu mehr sozialem und gemeinwohlorientiertem. Doch jede Art des Neubaus schadet nicht nur, sondern – welch Tragik – sie nutzt auch nichts. So stieg seit der Wiedervereinigung die Einwohnerzahl Deutschlands um drei Millionen, aber die Zahl der Wohnungen stieg um acht Millionen (das wäre genug Platz für sechzehn Millionen Menschen). In Hamburg beispielsweise leben heute genausoviel Menschen wie 1964, aber die Zahl der Wohnungen stieg um die Hälfte (von 600.000 Wohnungen auf 900.000). Trotzdem suchen viele Menschen Wohnraum, denn wir wohnen anders und anderswo, an anderen Orten und auf mehr Fläche als früher. Das sind die Ursachen des Wohnungsmangels und zugleich liegt hier die Lösung: Eine Alternative zum Neubau fragt, wie und wo die Menschen wohnen.
Lenken wir zumindest ein Hundertstel des Neubaugeldes um und investieren es stattdessen, um das Wie und Wo des Wohnens zu ändern! Das sollte selbst Bauwütigen einleuchten, denn das Gesetz des abnehmenden Grenznutzens besagt: Die fünfzehnte Milliarde für Neubau bewirkt weit weniger als die erste. Dagegen entstünde mithilfe einer ersten Milliarde viel Wohnraum in Altbauten. Dort gibt es bereits über vierzig Millionen Wohnungen, und wenn wir sie auch nur ein Prozent besser nutzen, wird mehr Wohnraum frei als durch sämtlichen Neubau. Wenn bei den vier Millionen Umzügen jährlich in Deutschland mehr Menschen in kleinere Wohnungen zögen, würden mehr größere frei. Obendrein erfüllen wir dadurch Wohnwünsche; starten wir also ein Wohnwünsche-Programm der Umzüge, des Umbaus und der Untermiete.
Das „Wie“ des Wohnens ändern
Es ist nicht einfach, Wohnraum in Altbauten zu schaffen, aber auch der Neubau ist nicht einfach. Ein neues Baugebiet zu erschließen dauert lang, ist teuer und erfordert gründliches Planen und kluges Handeln von vielen Beteiligten. Ähnlich schwierig wird es, alte Häuser besser zu nutzen, auch wenn es eher weniger kostet, denn sie stehen bereits. In Altbauten verbergen sich Millionen ungenutzte Räume, weil wir anders wohnen als früher: Wenn Kinder ausziehen oder Menschen sich trennen oder einer stirbt, bleibt oft einer allein in der großen Wohnung. Dort wohnten früher oft drei Generationen zusammen, heute gibt es das nur noch in jedem zweihundertsten Haushalt. Man kann das bedauern, aber nicht rückgängig machen, denn der Zusammenhalt ging verloren, weil wir Freiheit gewannen. So beugten sich früher vor allem Frauen dem moralischen Zwang, pflegebedürftige Eltern und Schwiegereltern zuhause zu betreuen; doch heute verfolgen Männer und Frauen gleichermaßen ihre Berufe und Karrieren. Außerdem werden Familien kleiner und Ehen öfter geschieden.
Wohnwünsche erfüllen
Als Ergebnis dieses Wandels wohnt heute in Großstädten in jedem zweiten Haushalt einer allein; sechs Millionen Menschen wohnen allein in vier oder mehr Räumen, davon 600.000 sogar allein in sieben oder mehr Zimmern. Wer damit glücklich ist und es sich leisten kann, dem sei es gegönnt – niemand soll gezwungen werden, anders zu wohnen. Doch bei vielen hat es sich ohne Kinder und Partner einfach so ergeben, und sie wünschen sich mehr Nähe und mehr Nachbarschaft, aber weniger Belastung durch ungenutzte Räume. Diesen freien Platz kann man nutzen, so dass Menschen zusammenrücken.
Zum Beispiel durch Untermiete nach dem Modell „Wohnen für Hilfe“: Dabei wohnen meist junge Leute bei Älteren, zahlen aber keine Miete in Euro, sondern in Stunden, etwa durch Hilfe im Garten, beim Einkaufen oder im Haushalt. In über dreißig Städten arbeiten bereits Vermittler von „Wohnen für Hilfe“, oft von Studentenwerken, doch es gibt allein vierhundert Hochschulen in Deutschland!
Anderen wäre Untermiete zu eng, aber sie wären bereit, umzubauen und Einliegerwohnungen abzutrennen. Wieder andere würden umziehen, wenn es ein passendes Angebot gibt, etwa um die Ecke in einer ebenerdigen Wohnung, und wenn jemand beim Umzug hilft. Dann geht es vielleicht in eine Senioren-WG oder ein Wohnprojekt; dort teilen Menschen Räume, sparen Platz und schaffen Wohnraum.
Um all diese Wohnwünsche kümmern sich bereits Stellen, doch oft nebeneinander her: die einen vermitteln Wohnraum für Senioren oder Flüchtlinge oder Menschen mit Behinderung, die anderen beraten zu Umbau, wieder andere helfen beim Umzug; da gibt es Kommunen und Sozialverbände, Wohnungsgesellschaften und Ehrenamtliche. Die Angebote zu vernetzen wäre die Aufgabe einer Wohnwünsche-Agentur. Sie berät alle, denen ihre Wohnung zu groß geworden ist, und erfragt ihre Wünsche. Möchte jemand untervermieten? Dann vermittelt die Agentur Wohnpartner. Möchte jemand umbauen? Architekten klären, ob sich eine Wohnung abtrennen lässt oder wie man eine Wohngemeinschaft unterbringt. Wer möchte anders wohnen? Die Kümmerer erfragen Wohnwünsche und schaffen dadurch neuen Platz in alten Häusern. Wenn wir auch nur ein Hundertstel der fünfzehn Neubaumilliarden umwidmen, entstehen 250 Wohnwünsche-Agenturen.
Das „Wo“ des Wohnens
Wieviel Wohnraum können sie gewinnen? Das ist schwer zu sagen, denn während jeder Betonzuschlagstoff genau untersucht wird, fehlt Forschung zum Wie des Wohnens – und zum Wo. Bislang verlassen viele Menschen schrumpfende Orte und für sie wird dann in Boomstädten neu gebaut. Um die leerstehenden Häuser in Schrumpfstädten wieder zu beleben, gibt es zwar viele Projekte, doch deren Wirkung verpufft oft. Dagegen könnte ein Programm helfen, das Orte zu Willkommensstädten umwandelt: Es lockt fünf Gruppen in die Schrumpfregionen.
Erstens lockt es Existenzgründer, die günstige Arbeitsräume vorfinden, zweitens Flüchtlinge, weil viele der Orte dringend Arbeitskräfte suchen. Drittens wirbt man Touristen, denn schrumpfende Regionen wie Harz und Frankenwald bieten wunderschöne alte Häuser; dort richtet man nach italienischem Vorbild „alberghi diffusi“ ein, verstreute Hotels in ehemals leerstehenden Häusern, mit einer zentralen Rezeption. Viertens übernachten Probewohner kostenlos eine Woche im Ort, wie es Görlitz getestet hat, weil dadurch zweifelnde Menschen erleben, dass ihre Vorurteile unbegründet sind. Dazu zählen Rückkehrer, die einst abwanderten und nun sehen, dass ihre alte Heimat Platz und Arbeitsplatz bietet.
Diese vier Gruppen bauen Wohnungen und Arbeitsräume um und beleben dadurch die lokale Wirtschaft. Doch eine Gruppe muss dazukommen, um das Bild endgültig zu ändern: Kreative, die im Ort leben und arbeiten, und zwar nicht nur einer, wie bei manchen Stadtschreiber-Stipendien, sondern gleich hundert. Wenn Stipendien hundert Kreative gleichzeitig in einen Ort locken, werden die verrückte Sachen machen, sie werden miteinander arbeiten oder mit den alten Einwohnern oder mit den jungen Zuzüglern, mit den Existenzgründern und den Touristen, und das lockt Neugierige an, mehr Touristen und mehr Kreative, und letztlich wieder mehr Bewohner.
Für zehn Willkommensstädte reicht ein Hundertstel der Neubaumilliarden, ebenso wie ein Hundertstel 250 Wohnwünsche-Agenturen ermöglicht und weitere Hundertstel andere Werkzeuge finanzieren: Leerstandskataster und Leerstandsmanager, Wohnprojekte und Mehrgenerationenwohnen, Einbauten und Ausbauten, sowie Radschnellwege zwischen boomenden und schrumpfenden Gegenden. Doch um das anzugehen, müssen Bauämter zu Umbauämtern werden und Bauministerien zu Umbauministerien. Als Lohn werden Wohnwünsche erfüllt, Wohnungsmangel beseitigt und das Klima gerettet.
Dieser Text erschien zuerst in der Nürnberger Zeitung.
Bleiben Sie dran und folgen dem Bauverbot-Blog per Newsletter (rechte Seitenspalte), RSS-Feed oder über Facebook.
Um das „Wie“ des Wohnens geht es im Ratgeber „Einfach anders wohnen“ und im Buch „Verbietet das Bauen!„. Zum „Wo“ des Wohnens mehr im Buch „Willkommensstadt„.
Hat Ihnen der Beitrag gefallen? Hier geht es zur Teekasse.