Die Schulstunde beginnt: Bei jedem Klingeln der Schulglocke drängten die Schüler auf die Flure, quetschten sich aneinander vorbei, stauten sich bis zum Treppenhaus und bis auf den Pausenhof, bis endlich einer nach dem anderen seinen Schulraum erreichte und der Stau sich auflöste. Klarer Fall, dachte man in der Schule in Großbritannien, die Flure sind zu eng, wir müssen umbauen und neu bauen. Bis zu 20 Millionen Pfund sollte das kosten, berichtete Architekt Arne Steffen vom Büro werk.um über einen Vortrag von Alastair Parvin, doch dann kam jemand auf eine clevere Idee – anstelle der großen Schulglocke wurden mehrere kleine angeschafft, die zeitversetzt klingeln. Jetzt strömen die Schüler nach und nach auf die Flure, das Problem ist gelöst, ganz ohne Neubau. Weniger bauen war die Lösung.
Die Geschichte erzählte Arne Steffen auf dem von ihm initiierten db-Suffizienzkongress in Darmstadt, wo man gemeinsam mit dem Wuppertal Institut dem „Besser Anders Weniger“ nachspürte, so der Titel. Für dieses „Weniger“ gaben die Referenten wunderschöne Beispiele, von denen einige hier wiedergegeben seien. Arne Steffen gab selbst ein weiteres mit der TheaBib Karlsruhe, der Bibliothek im Theater. Genau genommen geht es um 150 Arbeitsplätze für Studierende des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). Den Raum fanden sie nicht in einem Neubau, sondern im Foyer des Staatstheaters Karlsruhe. Tagsüber stand das leer, doch jetzt lesen hier die Studierenden, und abends wird der Raum wieder zum Theaterfoyer. Netter Nebeneffekt: die Studierenden gehen jetzt auch abends öfter ins Theater.
Mehr Platz mit und ohne Umzug
Familien bekommen Nachwuchs, Häuser erstmal nicht. Wie Wohnungen wachsen können, ohne dass das Haus wächst, zeigt der Architekt Gerd Streng aus Hamburg. Als „Einbreiten statt Ausbreiten“ bezeichnet er seine kleinen Einbauten und Umbauten, mit denen er Platzreserven von Häusern nutzt. Meist helfen dabei winklige witzige Treppen, weshalb Gerd Streng seine Projekte „stair case study houses“ nennt. So wohnte in einem Gründerzeithaus in einer Etage eine Familie, die gern mehr Platz für ihre Kinder hätte, und in der Etage darunter wohnte die Großmutter, die weniger Platz brauchte als ihre Wohnung bot. Mit einer „Raumsonde“ fügte Gerd Streng einen Raum von unten der oberen Wohnung zu: Eine schmale Treppe erschließt den zusätzlichen Raum von oben, während unten die Zimmertür zur Doppeltür geschlossen wurde, die nur noch als Fluchtweg dient. Solche Lösungen brauchen wir für eine sinnvollere Verteilung des Raumes. Anstatt da neu zu bauen, wo jemand mehr Platz benötigt, sollten wir ihn dort hernehmen, wo jemand weniger Raum braucht. Die Raumsonde muss kein Einzelfall bleiben, die Lösung ist für alle mehrgeschossigen Häuser Deutschlands denkbar, und übrigens auch wieder umkehrbar, falls sich die Bedürfnisse wieder ändern.
Wenn der Architekt mit dieser oder anderen schlauen Ideen einen Neubau verhindert, fehlt ihm dessen Honorar. Wir sollten darum eine „Leistungsphase 0“ in der Honorarordnung der Architekten einführen, sagte jemand bei der Podiumsdiskussion. Anders gesagt wird der Architekt zum Raumberater, und der kann für seine Ideen ein Beratungshonorar erlösen. Architekten sollten also, sagte Robert Kaltenbrunner, vor der Planung eines Neubaus die Aufgabenstellung hinterfragen. Er brachte das Beispiel eines Platzes in Bordeaux, den die Architekten Lacaton & Vassal umbauen sollten. Doch sie beobachteten erstmal, wie der Platz heute genutzt wird, und stellten dabei fest, dass er eigentlich funktioniert. Er war nur schlecht gepflegt, und lediglich das müsse man ändern, schlugen sie vor. Wenn wir pflegen, was wir haben, müssen wir es nicht abreißen und durch Neues ersetzen.
Falls nun doch jemand in eine größere Wohnung umziehen möchte, während jemand anders sich gern verkleinerte, scheitert das bislang oft am Geld: die Miete einer seit Jahrzehnten von älteren Menschen gemieteten Wohnung ist oft kaum oder nicht geringer als die Miete einer neu bezogenen kleineren Wohnung. Dazu kommen noch die Umzugskosten. Robert Kaltenbrunner schlug darum einen Ausgleichsfonds vor, mit dem Umzüge gefördert würden. In ähnlichem Sinne regte auch Arne Steffen ein Förderprogramm für Umzüge an. Wenn man die Summen betrachtet, die zur Förderung des Neubaus ausgegeben werden, wäre es zweifellos günstiger, zumindest mit einem kleinen Teil davon Umzüge zu fördern und dadurch Neubau zu vermeiden.
Weniger Straßen, weniger Flächen
Einen dritten Straßenring um die Stadt erwog man im belgischen Hasselt zu bauen. Doch dann entschloss man sich stattdessen für den Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr. Umsonst Bus fahren, das hatte einen durchschlagenden Erfolg, wozu Michael Kopatz vom Wuppertal Institut beeindruckende Zahlen lieferte; so stieg die Zahl der Fahrten auf das Zwölffache auf rund 4.5 Millionen jährlich. Den zweiten Straßenring um Hasselts Innenstadt baute man nun sogar zurück: Wo vorher vielspurig Autos brausten, säumen jetzt Wiesen, Biertische und Cafés einen Boulevard.
Weniger Platz für Autos, mehr Platz fürs Leben, das wurde in Hasselt von Stadtverwaltung und Politik veranlasst. In der Züricher Kalkbreite ging die Beschränkung der Wohnfläche von den Menschen aus: In dem Wohn- und Gewerbeensemble rund um ein Tramdepot entfallen heute auf jeden Bewohner 33 Quadratmeter, und zwar inklusive des Anteils an großzügigen Gemeinschaftsflächen wie Gasträume, Sauna und Waschküchen. Das berichtete Res Keller von der Genossenschaft Kalkbreite, die zwar zugegebenermaßen einen Neubau errichtete, was auf diesem Blog falsch wäre, aber die statt der heute rund 45 Quadratmeter weniger Platz pro Person plante. Das ergibt aber dank des gemeinschaftlichen Projekts und der vielen gemeinsamen Räume mehr Freude am Leben.
All diese Beispiele zeigen, dass wir schon heute unsere Räume besser nutzen und sogar mit weniger Fläche auskommen können. Wir brauchen keinen Neubau und könnten zumindest damit anfangen, in den schrumpfenden Regionen ein „Wohnflächen-Moratorium“ zu verkünden, wie es Michael Kopatz forderte, also eine vorerst zeitlich begrenzte Kappung der Wohnfläche auf dem heutigen Stand. Dann wären alle gezwungen, darüber nachzudenken, wie man Menschen und bereits vorhandene Räume aufeinander abstimmt. Clevere Ideen für weniger Bauen schaffen meist auch mehr Miteinander.
Diese Reise kostete mich 238 Euro netto, wie im Fahrtbericht auf meiner Webseite nachzulesen. Spielen Sie Verlag – Ihr Beitrag zu den Gesamtkosten per Flattr oder auf diesen Wegen. Danke!
„Wo vorher vielspurig Autos brausten, säumen jetzt Wiesen, Biertische und Cafés einen Boulevard.
Weniger Platz für Autos, mehr Platz fürs Leben, das wurde in Hasselt von Stadtverwaltung und Politik veranlasst.“
Genau diese Bretter bohren wir hier in Wuppertal noch
– leider sind die doppelt so dick als anderswo und noch dazu aus EICHE!!!
Mit Bürgerengagement wollen wir es dennoch anstoßen:
Das „Bündnis Unsere Stadtwerke EnergiE/Mobilität“ will genau da hin
– fahrscheinloser ÖPNV mit Bürgerticket
– Stadt/WSW erkennen die Vorteile (noch) nicht…
Aber: Wir bleiben dran 😉