„Beim Wort „Umbau“ höre ich schon den Bagger“, sagte auf einer Tagung zu Umbaukultur Matthias Koch, der in Berlin das Gebäude der Klavierfirma Bechstein zum „Aufbauhaus“ umgewandelt hat. Er schilderte damit anschaulich die Befürchtung, dass sich hinter dem Wort Umbau der Neubau versteckt. In der Tat wurde von den Gastgebern der Tagung das Gelsenkirchener Hans-Sachs-Haus als beispielhafter Umbau bezeichnet, obwohl vom Altbau nur die Fassade stehen geblieben war – ein Neubau im alten Gewand, ein Fassadenschwindel. Man muss aufpassen, dass kein Wortschwindel dazukommt. Schließlich ist die Forderung „Verbietet das Bauen“ deswegen sinnvoll, weil mit „Bauen“ der Neubau gemeint ist, und der wünschenswerte Umbau darf kein verkappter Neubau sein. Darum sollte man hellhörig werden, wenn etwa von der „Anpassung ganzer Quartiere“ die Rede ist. Schönrednerei ist eine ungute Tradition: Die Abrissorgien der 1960er und 70er Jahre wurden als „Sanierung“ bezeichnet und waren in Wahrheit Kahlschlagsanierung.
Wieviel Umbau ist kein Neubau?
Wenn man aber tatsächlich mit Umbau meint, unsere Häuser zu pflegen, zu sanieren und behutsam umzubauen, dann tut sich ein breites Spektrum auf zwischen „Nichts tun“ und „Totalumbau wie neu“. Selbst ein schlichtes Wohnhaus der Nachkriegszeit kann man zum Passivhaus umbauen, doch das kostet soviel Geld und Energie, dass es nicht besser dasteht als ein Neubau. Je nachdem, ob ein Bauherr ein Wohngebäude für 1.600 Euro je Quadratmeter umbaut oder für 600 €/qm, ändern sich nicht nur die technischen Mittel, mit denen er saniert, sondern auch die Miete, die er nachher fordert. Das wiederum bedeutet, dass sich auch die Mieter ändern: Das teuer sanierte Haus können die früheren Bewohner sich meist nicht leisten, sie ziehen aus, und dann hat der Bauherr vielleicht wirtschaftlich gehandelt, aber unsozial.
Es muss aber auch ökonomisch nicht die bessere Lösung sein, teuer zu sanieren. „Manche Bauherren meinen, hohe Kosten bedeuten hohe Rendite“, sagt der schweizerische Immobilienentwickler Steff Fischer, und zeigt mit seinen eigenen Projekten, dass es auch anders geht. Bei manchen zuvor ungenutzten Häusern, die seit langem leerstanden, hat er seinen eigenen saloppen Worten zufolge „nichts getan“, um sie zu vermieten, was dann bedeutet, er hat ihnen einen flotten Namen gegeben, sie peppig angestrichen und Mieter gefunden, die den rauen Charme eines nicht ausgebauten Fabrikgebäudes ebenso zu schätzen wissen wie die entsprechend niedrige Miete. Bauherr und Entwickler haben trotzdem gut verdient, denn die Rendite kann bei niedrigen Kosten höher liegen. Eines jedoch mussten sie leisten: Weniger bauen, aber mehr denken. Im Vergleich zum Neubau auf der grünen Wiese ist es komplizierter, sich mit einem Altbau zu beschäftigen, ihn kennenzulernen und ein Konzept für seinen Umbau zu entwickeln. Da die Abrechnungsformeln der HOAI das nicht immer ausreichend würdigen, müssen Architekten gut verhandeln, um dieses Denken und Planen honoriert zu bekommen.
Warum sich Umbau besser rechnet als Neubau
Die Zahlengläubigkeit unserer Gesellschaft zeigt sich, wenn berechnet wird, ob sich ein Umbau oder ein Neubau lohnt. Wir erwarten so sehr, dass uns die Zahlen den Weg weisen, als seien sie eine Botschaft der Götter. Auch das Orakel von Delphi sollte die Entscheidung der Götter verkünden, und so wie die Prediger die Innereien der geopferten Tiere nach ihren Interessen auslegten, so deuten Politiker die Bilanzen und Berechnungen je nachdem, wie es ihnen besser nutzt. Misstrauen wir den Beschwörungen, bei gerade diesem Altbau lohne sich eine Sanierung endgültig nicht und gerade jener Neubau werde sich ganz bestimmt auszahlen. Schauen wir auf die Klarheit und Wahrheit der Kosten und Erlöse, wie die Grundsätze der Buchführung und der Betriebswirtschaft sie verlangen:
– Werden die Altbauten verteufelt und die Neubauten verklärt? Manchmal wird aus politischen Gründen nur eine überteuerte Sanierung mit dann günstig erscheinendem Abriss und Neubau verglichen. Zum Beispiel soll die Sanierung einer Kuranlage in Dangast aus den 1980er Jahren angeblich zwei Millionen Euro kosten, aber nur 20.000 Euro Energiekosten sparen. Andererseits sollte der Neubau der Oldenburger Messe angeblich Jahr für Jahr 200.000 Euro sparen, aber man verschwieg, dass sich die Investition trotzdem in der Theorie erst nach 89 Jahren rechnet, wenn die neuen Hallen in der Praxis schon längst durch wieder neue ersetzt sein werden.
– Arbeitet die Rechnung mit Tricks und doppeltem Boden? Die Fördersysteme bevorzugen den Neubau und ermöglichen es, wie ein Deus ex Machina in die Varianten für neue Projekte Millionen an Zuschüssen einzuplanen, während es zuweilen schwer fällt, wenige hundertausend Euro zur Sanierung bestehender Bauten zu organisieren. Zum Beispiel fördern EU, Bund und Land gern den Neubau eines kulturellen Leuchtturmprojekts, doch bestehende Kultureinrichtungen müssen bei ihrer Ausstattung mit Menschen und Material sparen. Wenn wir aber unsere Altbauten nicht regelmäßig pflegen, verfallen sie und ihre Sanierung wird dann tatsächlich teuer – nichts tun sollten wir nur da, wo nichts zu tun ist.
– Werden hohe Kosten eines Neubaus mit „höheren Interessen“ entschuldigt? Selbst stagnierende Kommunen weisen neues Bauland aus und investieren in neue Straßen, weil sie damit den benachbarten Städten Firmen und Menschen abwerben wollen.
– Ist die Bilanz ehrlich? Beim Vergleich von Sanierung mit Neubau oder gar vorhergehendem Abriss muss man dreierlei berücksichtigen: Natürlich die Betriebsenergie zum Heizen, bei der ein Neubau meist günstiger liegt, aber auch Kosten und Energie der Herstellung und eines Abrisses sowie schließlich die Mobilitätsenergie für weite Wege zum abgelegenen Neubau. So eine ganzheitliche Rechnung zeigt oft, dass sich Sanierung rechnet und warum es auch per Bilanz richtig ist, das Bauen zu verbieten; in der Schweiz ist die dreistufige Rechnung bereits üblich.
– Haben wir alles berechnet? Vielleicht liegen wir falsch, weil wir nur das einzelne Gebäude angesehen haben. Wenn aber ein saniertes Haus ein so großer Erfolg wird, dass es das ganze Quartier belebt, dann müssen wir auch die Gewinne der Nachbarn einrechnen. Egbert Dransfeld regt an, dass wir uns für eine solche Quartiersrechnung zum Vorbild nehmen, wie bei städtebaulichen Maßnahmen der Mehrwert berechnet wird. Wenn zum Beispiel ein Kulturzentrum entstand, wo vorher eine Fabrik brachlag, dann steigt auch der Werte der benachbarten Immobilien.
– Haben wir wirklich alles berechnet? Um den Umbau oder Neubau richtig zu bewerten, sollten wir die ganze Stadt oder sogar die Region anschauen. Die betriebswirtschaftlichen Gewinne eines neuen Shopping-Centers sind die Verluste der benachbarten Innenstädte, denn irgendwo muss das Geld ja herkommen. Auch die Städte und die Gesellschaft zahlen für ein neues Center: mit leeren Läden in den klassischen Handelsstraßen.
Umbau rechnet sich, wenn der Altbau nicht durch Neubauten kaputt konkurriert wird. Wer von Umbau spricht, muss auch von Neubau reden. Zum einen werden die beiden oft als Alternativen dargestellt und es wird dann wie beschrieben „berechnet“, was sich besser bezahlt macht. Zum anderen nutzen die schönsten Umbauprojekte nichts, wenn wir gleichzeitig wie bisher neu bauen und damit den sanierten Häusern die Mieter wegnehmen. Gerade Regionen wie das Ruhrgebiet mögen Umbauland sein, denn sie haben viel Erfahrung mit dem Umwandeln von alten Hallen und Zechen. Dort ist aber auch Neubauland, denn selbst in schrumpfenden Regionen wird weiter neu gebaut. Wir haben aber nur begrenzte Mengen an Zeit und Geld, und auch die Menschen sind nicht teilbar. Wir können nicht weiter ungebremst teuer neu bauen und gleichzeitig umgebaute Häuser finanzieren und mit Leben füllen. Wenn wir uns für Umbau entscheiden, dann müssen wir uns gegen Neubau stellen. Das gebietet der Respekt vor Menschen und Häusern: Wenn wir die Menschen nach ihren Wohnwünschen fragen, dann nennen sie eine niedrige Miete und ein gepflegtes Umfeld und vielleicht ein schickes Dach, aber sie wünschen nicht, dass ihr Haus abgerissen und ein Ersatzhaus gebaut wird. Abriss zerstört Heimat. Der Respekt vor den Häusern, ihrer Geschichte und ihren Erbauern sollte so groß sein, dass wir sie nicht wegwerfen wie eine gebrauchte Plastikflasche. Häuser werden wie Mehrwegbehälter von Generationen genutzt. Lasst uns die Leistung des Umbaus anerkennen, die Leistung aller ideenreichen Planer und Bauherren, die dafür sorgen, dass unsere Stadt bestehen bleibt.
Inspiriert zu diesem Text haben mich viele Vortragende und Gesprächspartner bei der Tagung zu Umbaukultur am 24. Januar 2014. Einige Quellen und Links finden sich beim Reisebericht auf meiner Webseite.
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