Allerorten wird gefordert, mehr zu bauen. Zwar ist es verständlich, dass die Bauindustrie den Neubau propagiert und dass sich Politiker gern mediengerecht beim ersten Spatenstich zeigen. Doch die Immobilienbranche sollte sich von ihnen nicht vereinnahmen lassen, sondern aus ökonomischen Gründen nicht mehr neu bauen.
Als heutiger Verfechter eines Bauverbots muss ich zugeben, fünfzehn Jahre lang als Architekturverleger für Neubauten geworben zu haben, für Kulturbauten wie das Jüdische Museum in Berlin, für die dortige Österreichische Botschaft und für kommerzielle Immobilien wie das Zentrum der Messestadt in München-Riem. Damals nutzten meine Publikationen dem Marketing der Immobilienwirtschaft. Heute ist es meines Erachtens ebenso im Interesse der Branche, dass ich den Blog „Verbietet das Bauen“ betreibe. Als eine Leserin mich zur „antikapitalistischen“ Botschaft des Blogs beglückwünschte, handelte es sich um ein grobes Missverständnis, denn ein Bauverbot wäre im Interesse vieler Investoren, Eigentümer und Betreiber von Immobilien.
Zwei Beispiele sollen zeigen, welchen wirtschaftlichen Schaden der Neubau anrichtet. So muss sich jeder Eigentümer von Handelsimmobilien in 1A-Lagen davor fürchten, dass in der Nähe ein Shopping-Center gebaut wird. Das gilt nicht nur vor der Stadt, sondern auch in sogenannter integrierter Lage im Stadtzentrum, denn die 1A-Lage lässt sich nunmal nicht beliebig verlängern: Wenn an ihrem einen Ende ein Center einen neuen Schwerpunkt bildet, dann wird sie am anderen Ende abgewertet und die Rendite der dortigen Händler und Vermieter schmilzt.
Ähnlich geht es den Eigentümern von Wohnsiedlungen, die um die soziale Balance in ihrem Bestand ringen: Wenn nebenan neu gebaute Wohnungen genau diejenigen aufstrebenden Mieter anlocken, die einen Euro mehr zahlen können, dann droht mit deren Mietzahlungen auch das gute Image einer Siedlung zu verschwinden. Die Konkurrenz des Neubaus setzt im Bestandsbau eine Abwärtsspirale in Gang, unter der die Eigentümer der Wohnimmobilien ebenso zu leiden haben wie ihre Dienstleister von Asset Management bis Facility Management.
Auf ähnliche Weise schadet der Neubau in anderen Marktsegmenten. So mindern neue Bürotürme den Marktwert älterer Büroflächen und deren Vermietungschancen. Dann droht Leerstand, der jede noch so gründliche Planung der Lebenszykluskosten einer Immobilie konterkariert. Dass trotz dieser schädlichen Folgen immer weiter neu gebaut wird, liegt an den Profiteuren des Bauens – kurzfristig denkende Projektentwickler, die eine Immobilie bereits weiterverkauft haben, bevor sie fertiggestellt wurde, und Immobilienfinanzierer, die umso mehr verdienen, je kurzlebiger das Marktgeschehen ist und je zahlreicher die Transaktionen. Dagegen sollten sich die ökonomisch vernünftigen Kräfte der Immobilienwirtschaft wehren. Langfristig denkende Investoren und nachhaltigen Erfolg suchende Bestandshalter sollten den Wert unserer bereits gebauten Städte verteidigen: Sie sollten gegen die indirekte Subventionierung des Neubaus durch üppige Baulandausweisung und gegen die direkte Förderung von Bauprojekten protestieren. Sie sollten ihre Stimme gegen die Bauwut erheben und sich der Forderung anschließen, das Bauen zu verbieten.
Der Beitrag erschien in Ausgabe 4-2013 der „Immobilienwirtschaft“, Magazin der österreichischen Tageszeitung „Standard“.