Bergisches Center-Dreieck

Wuppertal Döppersberg im Umbau

Alles gesperrt und alles im Bau am Wuppertaler Döppersberg neben der gleichnamigen Schwebebahn-Station (links) und dem Hauptbahnhof.

Wollte man ein Lehrstück darüber schreiben, was schief läuft in unseren Städten, dann bräuchten wir erstmal ein skandalös teures Bauprojekt, am besten in einer hoch verschuldeten Stadt. Deren Politiker würden dann privaten Investoren den zentralsten öffentlichen Platz verkaufen. Dort entstünden schließlich große Modeläden, die ihre Gewinne nach Irland oder Luxemburg verschieben. Die Opfer in unserem Lehrstück: Bürger und Steuerzahler. Kleine Händler, die von der Konkurrenz erdrückt werden. Die ganze Stadt, und die Nachbarstadt – die man aber nicht zu sehr bemitleiden sollte, weil sie sich genauso verkauft.

Das mag bösartig klingen, doch die Wirklichkeit ist noch bösartiger: Ausgerechnet Wuppertal, bekannt durch Schulden von fast zwei Milliarden Euro, baut das Stadtzentrum am Hauptbahnhof um und rechnet inzwischen mit Kosten von über 140 Millionen Euro. Dieses Skandalprojekt schaffte es als Beispiel für Verschwendung in das Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler. Wer in einigen Jahren aus dem Bahnhof tritt, soll direkt auf einen Neubau stoßen, in dem dann der Händler Primark seine Mode verkauft, die er billig in Asien herstellen lässt; den Weg dafür machte der Stadtrat vor wenigen Tagen frei. Was für ein Symbol, sagt dazu Uwe Schneidewind der Wuppertaler Rundschau, der Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie, und weist (mit anderen Worten) auf folgenden historischen Wandel hin: zur Zeit der Frühindustrialisierung wurde Wuppertal durch die Textilbranche groß, und heute soll der Verkauf importierter Billigmode das Stadtzentrum prägen.

Dazu gehört gleich neben dem Bahnhof der prächtige Bau der ehemaligen Bundesbahndirektion, der jetzt zum Factory-Outlet-Center (FOC) werden soll, wo also noch mehr billige Textilien verkauft werden. Zeitgleich aber soll zwanzig Kilometer (oder zwei Hügel) entfernt ein weiteres FOC in Remscheid-Lennep entstehen. Und bevor wir uns weiteren Centerplänen widmen, etwa im fünfzig Kilometer entfernten Duisburg, ein Blick zurück auf den leider ebenfalls beispielhaften Niedergang.

Wuppertal schrumpfte über  Jahrzehnte hinweg: Anfang der 1960er Jahre lebten dort noch über 420.000 Menschen, heute aber nur noch etwa 350.000. Zusammen mit den Nachbarstädten Solingen und Remscheid verlor das sogenannte bergische Städtedreieck über 100.000 Einwohner. Doch obwohl weniger Menschen weniger Geld ausgeben können, konkurrieren darum mehr Händler, denn das Trio entwickelte sich zum bergischen Center-Dreieck. In den Achtziger Jahren eröffnete in Remscheid das Allee-Center von ECE; in Wuppertal folgten in den Neunzigern die Rathaus Galerie und 2001 die ECE-City-Arkaden. In Solingen kamen im Jahr 2000 die Clemens-Galerien dazu und 2013 der Hofgarten. Allein diese fünf Shopping-Center umfassen knapp hunderttausend Quadratmeter Verkaufsfläche.

Als sei das nicht schon mehr als genug, werden derzeit weitere über hunderttausend Quadratmeter zusätzlich geplant: Im Primark und angrenzenden Neubauten sollen zehntausend Quadratmeter entstehen. Wenige Schritte entfernt erwägt ECE, sein Shopping-Center zu erweitern. Gleich nebenan soll das FOC Wuppertal dreißigtausend Quadratmeter umfassen; dazu kommt das FOC im Remscheider Stadtteil Lennep  mit zwanzigtausend. Wenn von Handelsexpansion die Rede ist, dann darf Ikea nicht fehlen, die in Wuppertal Barmen vielleicht schon ab 2015 neu bauen werden. Selbst in den kleineren Stadtteilen konzentriert sich der Handel, zum Beispiel in Wuppertal Vohwinkel mit einem Kaufland auf fünftausend Quadratmeter, der in Kürze eröffnet.

 

Skizze vom DöppersbergGut zu sehen ist als eine Folge der neuen Handelsbauten, wie sich der Schwerpunkt der Stadtzentren verschiebt: Die Fußgängerzone von Wuppertal gehört zu den ersten und größten Deutschlands, zu groß angesichts der Center in ihrem Osten und Süden, so dass gen Westen Läden entweder zu Cafés umgenutzt werden oder leerstehen.

Schwerer zu sehen sind die Folgen in den Handelsstraßen und Stadtteilen, die sich schrittweise leeren. Dieses Ausbluten am Rand ist das Gegenstück zur Konzentration in der Mitte und in neuen künstlichen Mitten. Den Menschen in den Stadtvierteln geht es ähnlich wie denen auf dem Land: In den Dörfern erreichen nur noch Dreiviertel der Bewohner zu Fuß einen Händler für ihren täglichen Bedarf, während es 1990 noch über neunzig Prozent waren, sagte das Agrarministerium auf eine Anfrage des Abgeordneten Markus Tressel. Fatal ist das für diejenigen, die kein Auto haben oder wollen, fatal ist die Konzentration des Handels für alle älteren Menschen.

Wenn etwas so dramatisch schief geht, wehren sich die Menschen: über viertausend Wuppertaler unterschrieben eine Online-Petition gegen Primark, eine Bürgerinitiative kämpft unter dem Namen Döpps105 gegen das Skandalprojekt am Wuppertaler Hauptbahnhof, eine weitere gegen das Remscheider FOC, andere streiten gegen die ECE-Erweiterung und gegen Ikea. Mühsam beginnen sich die Gruppen zu vernetzen, während Investoren bereits überregional und international handeln – eine Stadtwandel-Stiftung täte Not, die Bürgern hilft, sich gemeinsam für lebendige Orte einzusetzen. Wenn Städte seit Jahrzehnten Einwohner verlieren, dann bieten ihre vorhandenen Häuser und Hallen genug Raum für den Handel. Wenn trotzdem seit Jahrzehnten immer neue Shopping-Center, Möbelhäuser und Primarks erlaubt werden, dann sollte sich niemand wundern, wenn das Ende der Geduld gekommen ist.

 

LINKS
Die Remscheider Bürgerinitiative protestierte bei der Eröffnung eines PR-Büros des Investors McArthurGlen, wie in einem Film auf dieser (eher FOC-freundlich wirkenden) Webseite zu sehen.
In einem PR-Film der Stadt Wuppertal sieht man (unfreiwillig?), wie der Primark-Neubau den Hauptbahnhof verdecken wird.
Auf diesem Blog gab es zu Shopping-Centern ein Gespräch mit Walter Brune. Ein Überblick der Beiträge zu Centern auf meiner Webseite.

P.S.:
Dieser Text wendet sich gegen die aktuelle Politik, nicht gegen meine Heimatstadt Wuppertal und ihre Nachbarn. Jeder sollte „einmal im Leben durch Wuppertal schweben“, durch die Stadt der Frühindustrialisierung, und das gleichnamige Museum mit dem Friedrich-Engels-Haus besuchen. Nach einem Ausflug in den Skulpturenpark von Tony Cragg – oder ins Solinger Klingenmuseum, ins Remscheider Röntgenmuseum oder zur Müngstner Brücke – geht es abends zum Pina Bausch Tanztheater.

Schreiben macht durstig: Der Autor dankt für einen Obulus in die Teekasse. Anders gesagt: Helfen Sie mit, dass ich mich weiter unabhängig dem Stadtwandel widmen kann.

4 Gedanken zu „Bergisches Center-Dreieck

  1. Wolfgang Bunecker

    Danke sehr! Der Artikel entspricht in ganz, ganz vielen Teilen meiner Meinung zur Situation! Und ich sage das als Wuppertal-Patriot, der seit 1958 in dieser bislang tollen Stadt lebt (und „trotzdem“ viele andere Orte auf der Welt kennenlernen durfte) und diese, mit ihren skurilen Bewohnern, liebt.

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  2. Jaybird

    Am Beispiel Rathausgalerie Elberfeld, oder dem Limbecker Platz in Essen (eigentlich generell das Vorgehen) sieht man, dass man diese „Konsumtempel“ entfernt vom Hbf platziert, damit die Besucherströme durch die Stadt gehen müssen, um auf dem Weg dahin an anderen Stellen zu halten und in Geschäfte zu gehen.

    Primark und das FOC passen irgendwie überhaupt nicht in diese als sehr erfolgreich bewiesene Strategie…. sie schleusen die Leute nicht durch die Stadt, sondern konzentrieren sie am Hbf und nabeln entferntere Orte ab.

    https://www.google.de/maps/dir/51.4583001,7.0062693/51.4514387,7.0130081/@51.4545093,7.0115386,1355m/data=!3m1!1e3!4m9!4m8!1m5!3m4!1m2!1d7.0126512!2d51.4567215!3s0x47b8c2b695b48c43:0xf68eb0eb596c496a!1m0!3e2

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    1. Bauverbot-Blog

      Lieber „Jaybird“, dem ECE-Center am Limbecker Platz kann ich noch nicht einmal diesen Vorteil abgewinnen: Mit seinen 70.000 Quadratmetern Verkaufsfläche als eines der größten innerstädtischen Shopping-Center Deutschlands ist es ganz darauf ausgerichtet, dass die Menschen direkt und nur dorthin gehen. Allerdings wird es in der Tat nicht besser, wenn die Center direkt am Hauptbahnhof liegen… Daniel Fuhrhop

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  3. Beate Petersen

    Es scheint so, als ob die z. T. über Jahre kontrovers diskutierten Wuppertaler Großprojekte wie eben auch der Döppersberg-Umbau – inkl. Primark, FOC…, die Ikea-Neuansiedlung auf der grünen Wiese etc. auswärtige Fachkompetenz mehr interessiert als die vor Ort – zumindest bringen sich die auswärtigen kritischen Stimmen laut und vernehmbar fachkundig engagiert mit eigenen blogs, und Homepages in die Diskussion ein – DANKE dafür!
    Details s. unter http://doepps105.net/doepps105-und-andere-kritische-stimmen/ sowie http://www.w-nord.de/talthemen/

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